Für Abtreibung in Holland bestraft

■ Weil eine Frau aus Nordrhein–Westfalen in Holland abtreiben ließ, bestrafte sie ein deutscher Amtsrichter / Politisches Klima in Nordrhein–Westfalen gegen soziale Indikation treibt Frauen ins Ausland

Aus Höxter Helga Lukoschat

Das Amtsgericht Höxter verurteilte vergangene Woche eine 24jährige Krankenschwester wegen Verstoßes gegen den §218 zu einer Geldbuße von 800 DM. Sie hatte in Holland abgetrieben, ohne sich eine ärztliche Indikation in der Bundesrepublik ausstellen zu lassen. Wie und warum in Höxter, einer mittleren Kleinstadt 50 km östlich von Paderborn, verhandelt wurde, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Situation von Frauen unter dem §218 wenn sie in der katholischen, rechtschaffen–konservativen Provinz leben. Der Krankenschwester hätte eine soziale Indikation aller Wahrscheinlichkeit nach zugestanden. Denn als alleinstehende Frau, die von ihrem verheirateten Freund schwanger wurde, hätte sie voraussichtlich ihren Beruf aufgeben müssen, um das Kind großzuziehen. Vom Gericht wurde die ökonomische und auch die seelische Notlage der „Angeklagten“ bei der Verhandlung berücksichtigt: Die Staatsanwaltschaft Paderborn zog einen Strafantrag (2.400 DM Geldstrafe) zurück, und der Richter verfügte ein Bußgeld in Höhe von 800 DM, was ihr zumindest einen Eintrag in das Vorstrafenregister ersparte. Warum die Krankenschwester allerdings nicht eine Beratungsstelle oder einen Arzt aufsuchte, danach hat das Gericht „gar nicht groß gefragt“. Offenbar läßt das politische und soziale Klima im SPD–regierten Nordrhein–Westfalen für viele Frauen wie in Bayern oder Baden– Württemberg nur noch den „Ausweg“ Holland offen. Nahezu 80 Prozent der Krankenhäuser sind in konfessioneller Hand. Der Bielefelder Pro Familia wurde nach langwierigen Auseinandersetzungen die Genehmigung für ambulante Schwangerschaftsabbrüche verweigert, und militante Abtreibungsgegner zogen gegen die „Abtreibung am Fließband“ zu Felde. Auch fürchten immer mehr Ärzte um ihren „guten Ruf“ und lehnen deshalb Abtreibungen ab. Im Falle der Höxter Krankenschwester konnte es nur deshalb zur Strafverfolgung kommen, weil sie die illegale Abtreibung während einer anderen polizeilichen Vernehmung selbst offenbart hatte. Ob sich der vorsitzende Richter Deißberg einen Grund für dieses Verhalten vorstellen könne? Für Außenstehende sei das schwer nachvollziehbar: „Aber manchmal gesteht ja auch ein Mörder ganz unvermittelt seine Tat.“ Verurteilungen von Frauen im Rahmen des §218 - der eine Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe vorsieht - sind in den letzten Jahren so gut wie nicht bekannt geworden. Eine neue Ära der Strafverfolgung läutet der Höxter Prozeß gleichwohl kaum ein. Aber er ist beispielhaft für die Unvernunft und den frauenverachtenden Charakter des §218. Amtsrichter Deißberg brachte noch ein weiteres „bevölkerungspolitisches Argument“ für die Anwendung des §218 vor: „Wir sind ein absterbender Volksstamm“, so der Richter wörtlich gegenüber der taz.