Hamburgs politische Tradition vor dem Aus

■ Ein Machtwechsel wäre das Ende für das historisch erfolgreichste sozialdemokratische Modell

Das nicht sein kann, was nicht sein darf, ist der Grundtenor mit dem die Hamburger Sozialdemokratie an die Wähler appelliert, um zu verhindern, daß der Souverän am Sonntag einer politischen Allianz eine Absage erteilt, durch die die Stadt seit Menschengedenken regiert wird. Da die SPD aber über die Tradition hinaus kaum etwas anzubieten hat, hat die CDU gute Aussichten, es diesmal endlich zu schaffen. Vor dieser Aussicht graust offenbar auch einem großen Teil früherer GAL–Wähler, die diesmal doch ieder SPD wählen wollen.

„Jetzt reichts, Hartmut Perschau kommt“, schreien sich Hamburgs Christdemokraten bei jeder Wahlveranstaltung vorzugsweise selbst zu. Die SPD kontert mit einem entschlossen aussehenden Klaus von Dohnanyi, der die „gerechte und soziale Stadt“ beschwört - sicherheitshalber plakatierten die Elb–Sozis in dräuendem Schwarz gleich dazu „Hamburg darf nicht schwarz werden“. Auf nur sporadisch im Stadtbild auftauchenden GAL–Plakaten zeigt eine links unten erscheinende grüne Maid auf einen Sandkasten, in dem sich die Spitzenkandidaten der anderen Parteien als Kasperlepuppen tummeln und verkündet selbstverliebt: „Typisch, die GAL will wieder nicht mitspielen.“ Und für die FDP ist in Blau und Gelb sowieso alles klar: „Ohne uns bleibt das Rathaus ratlos.“ Ausnahmsweise spiegeln in einem Wahlkampf die Wahlplakate Seelen– und Bewußtseinslage der plakatierenden Parteien einmal exakt wieder. Anscheindend meinen die Parteien, jene vier Monate der „Hamburger Verhältnisse“, in denen die SPD mit einem schlingernden Minderheitssenat versuchte, zu überleben, würden bereits für sich sprechen. Folglich werben sie nicht so sehr um neue Wähler, sondern vergewissern sich der eigenen Klientel, oder versuchen zu warnen. SPD: Es droht die „Schwarze Republik“ In der Kassandrarolle sich geradezu suhlend: die SPD. Was wunder, hat sie nach zwei schweren Wahlniederlagen am 9. November und 25. Januar doch kaum noch etwas anzubieten. Also setzt sie auf sozialdemokratisches „Hamburg–Gefühl“ und auf die weit verbreitete Angst vor einer schwarz–gelben Übermacht nun auch in der Hansestadt. Gemessen an dem lahmen Wahlkampf vor dem 9. November 1986 und zur Bundestagswahl hat sie sogar relativen Erfolg. Fehlten ihr sonst die Wählerinitiativen, so strömen sie ihr jetzt von Künstlern bis zu Schülern und Berufsschülern geradezu zu. Zurückgewinnung der Stammwählerschaft und Nichtwähler heißt das Motto, und da entwickeln die Sozialdemokraten beachtliche Energie. Telefonaktionen und Hausbesuche erlebten einen Boom. Doch außer Angst vor den „Schwarzen“ kann die SPD nur den Kauf der Hamburger Neue– Heimat–Wohnungen und ihre „sozialen Errungenschaften“ anbieten. Außerdem hat sie sich mit dem Handicap herumzuschlagen, daß ihr angeschlagener Spitzenkandidat Dohnanyi sich ausgerechnet für die FDP erklärte. Doch das wird auf gut sozialdemokratisch gelöst - durch Verdrängen und Verschweigen. Der Traum von der absoluten Mehrheit jedenfalls ist ausgeträumt. Folglich heißt die offizielle Parole nun: Die SPD muß wieder führende Kraft in der Stadt werden. CDU schwelgt im Gefühl: „Jetzt ist es soweit“ Bis zur Selbstgefälligkeit vom Durchbruch überzeugt sind dagegen die Christdemokraten. Das Votum der FDP für sie hat Hamburgs Elb–Christen nach dem Triumph der Bürgerschaftswahl vom 9. November endgültig das Gefühl gegeben, „jetzt ist es soweit“. Diese selbstzufriedene Siegeszuversicht schlägt sich bis ins Verhalten des Spitzenkandidaten Hartmut Perschau nieder. Blaffte der Ex–Major vor dem 9. November seine Gegner noch aggressiv im Kasernenhofstil nieder, so hat er nun bereits den ausgleichenden Staatsmann verinnerlicht. Selbst die obligaten Law–&–Order–Parolen zum innenpolitischen Dauerbrenner „Hafenstraße“ wirken seltsam blaß. Daß Hamburgs hochmotivierte konservative Wählerschaft nun beinah über drei Wahlen konstant blieb und somit eventuell nur ein Austausch mit der FDP stattfindet, ficht in der allgemeinen Wendeeuphorie nur wenige Christdemokraten an. Als die hanseatischen Kohl– Ableger vor drei Wochen auf der Mönckebergstraße, Hamburgs größter Konsummeile, in einer Mischung aus Senioren– und Yuppietreff ihre größte Wahlkampffete feierten, war die Stimmung derart tranig selbstgenügsam, daß das Bürgerschaftsmitglied Karl Heinz Ehlers gequält aufstöhnte: „Mensch, mensch, die sollen mal nicht so selbstsicher sein, das kann uns noch den Wahlerfolg kosten.“ GAL hat den Wahlkampf gar nicht begonnen Im Wahlkampf so gut wie abwesend: die GAL. Bis vor kurzem beschäftigte sie sich ausschließlich noch mit ihrem Innenleben anhand des grün–alternativen Dauerbrenners „Wie halte ichs mit der SPD?“ Gegen eine 40–prozentige Minderheit, die sich mittlerweile selbstbewußt „GAL–Reformgruppe“ nennt, stimmte die Mehrheit dann verbissen durch. Das eigene, schon sehr hochgeschraubte Tolerierungsangebot wurde endgültig durch eine Präambel entwertet, in der festgeschrieben wurde, daß mit den Elb–Sozis so gut wie nichts ginge. Die tiefen Gräben innerhalb der GAL führten bis zur Wahlkampfparalyse. Das Hauptwahlplakat „Die GAL spielt wieder einmal nicht mit“ wurde zum Menetekel. Anstelle eines eigenen Wahlkampfes läßt sie ihre Plakatwände durch außerparlamentarische Initiativen anmalen und hängt sich an den Volkszählungsboykott an. Selbst die größten Optimisten innerhalb der GAL rechnen damit, geringfügig an die SPD zu verlieren, da sie deren geschürter Wendeangst nicht einmal einen Hauch von reformerischer Hoffnung entgegensetzen kann. Die FDP will regieren - egal mit wem Etwas unglücklich auch die Freien Demokraten. Zwar sind sich alle - von den Meinungsforschern bis zum berühmten kleinen Mann auf der Straße - einig, daß sie diesmal den Einzug ins Rathaus, den sie am 9. November mit 4,8 aber ob es zur schwarz–gelben Wende reicht, weiß niemand. Folglich stellen die Liberalen ihr offengehaltenes Hintertürchen - wenn es mit dem Traumpartner CDU nicht reicht, dann eben im Interesse der „Regierbarkeit“ auch mit der SPD - in den Mittelpunkt ihrer Werbung. Die Partei, die das Regieren in Hamburg erst ermöglicht. Trotz der unsicheren Ausgangslage schafften es die Elb–Liberalen, ihren Spitzenkandidaten auf ihrem Wahlparteitag nachhaltig zu demontieren. Sie umgaben den letzten offenen Sozial–liberalen der Republik, ihren Vorsitzenden Ingo von Münch, kurzerhand mit einer Liste von wirtschaftsliberalen Hardlinern. Auf jeden Fall wird der Wahlsonntag in Hamburg spannend. „Ein knappes Ergebnis, egal für wen“ lautet allgemein die Einschätzung. Tom Janssen