„Kein bißchen Reue und keine Einsicht“

■ Schlagender Student wegen Körperverletzung zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt / Lehrerin wurde schwer verletzt / Prügelei um Nazi–Lieder in der Kneipe / Gericht unterbindet ehrverletzende Verteidigertaktik

Aus München Luitgard Koch

„Korporierter Schläger wegen gefährlicher Körperverletzung vor Gericht - fahrt mit nach München zum Prozeß“, so der Aufruf einer Regensburger Studentenliste. Das Flugblatt macht im vollbesetzten Gerichtssaal des Amtsgericht München die Runde. Auf der Anklagebank sitzt der 28jährige Nachwuchsjurist und Verbindungsstudent Johann K. „Ich möchte den Namen der Verbindung nicht erwähnen, ich gehöre zwei Verbindungen an“, erklärt der kräftige dunkelhaarige junge Mann mit dem Schmiß auf der Wange. Dieselbe Narbe fehlt auch im Gesicht seines Anwalts nicht. „Ging es schon um die angeblichen Nazi–Lieder?“, erkundigt sich nervös ein junger Mann auf der Pressebank. Er schreibt für die Deutsche Corpszeitung und weiß ganz sicher, daß Johann K. nicht dem Corps Germania angehört. Außerdem lehnen schlagende Verbindungen jede politische Aktivität ab, versichert er. Daß nur wenige SPDler in ihren Reihen zu finden sind und die „Konservativen“ überwiegen, kann auch der Corps–Bruder aus dem Corps Suevia nicht leugnen. Im Herbst vergangenen Jahres schlug der Student Johann K. vor dem Schwabinger Lokal „Türkenhof“ die 40jährige Lehrerin Heidrun L. krankenhausreif. Sie erlitt dabei einen Schädelbasisbruch, einen Trommelfellriß und Prellungen an Schulter und Sprunggelenk. Die zierliche Pädagogin hatte sich über die völkischen Gesänge der korporierten Studenten im Lokal empört und sich bei der Wirtin gegen diese „Nazi–Lieder“ verwahrt. Doch die 41jährige Erika K. antwortete ihr mit dem Hitler–Gruß. Nach dem Verlassen des Lokals wurde dann zuerst ihr Freund, der britische Ingenieur David A. (51), und danach auch sie selbst von Johann K., der den beiden in der Toreinfahrt auflauerte, zusammengeschlagen. „Ich habe es dahingehend in Erinnerung, daß ich Frau L. weggestoßen habe, nach der ersten Abwehr ist sie zu Boden gesunken“, beschreibt Johann K. die Szene vor Gericht. An gezielte Faustschläge in ihr Gesicht kann er sich nicht erinnern. Seine Version: Er hat in Notwehr gehandelt, denn bereits im Lokal habe ihn der Lebensgefährte von Frau L. mit „Fuck off, Nazi“ beleidigt und ihm vor der Kneipe eine Bierflasche auf den Kopf geschlagen. „Frau L. kam hysterisch krei schend auf mich zu und rief: Du Schwein, laß ihn los“, schildert er den „Angriff“ der Lehrerin, die der gut zwei Zentner schwere Mann um mindestens einen Kopf überragt. Schon einmal war der angehende Jurist mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Nachts unterwegs, um Plakatständer der CSU zu kontrollieren, hatte er eine Frau und ihren Freund verprügelt, weil sie die Plakate angeblich beschädigen wollten. Damals kam er aus Rücksicht auf seine Karriere mit einer Geldstrafe davon. Vor diesem Gericht kommt er mit seinem Versuch, seinen Opfern die Schuld in die Schuhe zu schieben, nicht durch. Da nützen auch die diffamierenden Beweisanträge seines Verteidigers nicht. „Ist es richtig, daß sie Frau L. schon öfter in betrunkenem Zustand aufgehoben und nach Hause getragen haben?“, beugt sich Verteidiger Zobel vor und richtet mit strengem Blick seinen Kugelschreiber auf den Freund der Lehrerin, die auch heute noch unter den Folgen ihrer Verletzungen leidet. Der Arzt stellte eine 15prozentige Gehörminderung fest. „Diese Frage lasse ich nicht zu“, greift Richterin Oppitz–Bergheimer sofort ein, als der Anwalt mit den Schlägen unter die Gürtellinie beginnt. Die entscheidende Wende bringt jedoch die Zeugenaussage eines Kneipenbesuchers, der K. nach eigener Aussage beschworen habe, mit der Schlägerei aufzuhören. „Ich würde Ihnen raten, Ihre Einlassung zu ändern, da einiges für Sie auf dem Spiel steht“, gibt die Richterin dem Angeklagten danach eine Stunde Bedenkzeit. Doch ein „Minimalstgeständnis“ (die Richterin), das K. daraufhin ablegt - er gibt zu, auf die Frau eingeschlagen zu haben, bleibt jedoch dabei, angegriffen worden zu sein -, wird vom Staatsanwalt nicht strafmildernd gewertet. „Kein bißchen Reue, keine Ein sicht, nur Taktik“, betont Staatsanwalt Hödl und fordert ein Jahr Freiheitsstrafe auf fünf Jahre Bewährung sowie eine Geldstrafe von 2.400 Mark. In Hinblick auf eine etwaige Beamtenkarriere seines Mandanten beantragt Verteidiger Zobel eine Freiheitsstrafe nicht über neun Monate. In seinem Schlußwort verkündet K., verurteilt zu einem Jahr Freiheitsstrafe mit Bewährung und 1.200 DM Geldstrafe: „Ich möchte zu bedenken geben, daß in der damaligen Situation kein schuldhaftes Handeln ... vorlag; ein Bedauern meinerseits gegenüber Frau L. ist mir ohne Not möglich.“ Immer noch fühlt er sich als Opfer. Ebenso wie die Wirtin, die nach der Verhandlung klagt, daß die Brauerei ihren Pachtvertrag nicht verlängert hat. „Es war eine spontane Antipathie“, ist die einzige Erklärung, die K. dann für sein Verhalten hat.