Schöner Wohnen in der Metropole Berlin

■ Internationale Bauausstellung in Berlin (IBA) nach zehn Jahren Planung und Bauzeit eröffnet

Die Bilanz nach zehn Jahren, so Walther Hämer, einer der beiden Leiter der IBA zur taz, ist ambivalent. Es gab viele Anstöße, aber im Grunde haben die Regierenden eine Mitbestimmung der Betroffenen immer noch nicht akzeptiert. So verwundert es nicht, daß der amtierende Berliner Bausenator Wittwer als Reaktion auf den Festvortag des amerikanischen Architekten Blake, der gerade den Versuch demokratischer Planung rühmte, eingestand, so hätte er das Ziel der IBA bislang nicht gesehen.

Die Pressekonferenz zur der IBA– Ausstellung war denkwürdig und symptomatisch. Die Leitfossilien der langen und qualvollen IBA– Geschichte seit 1978, die Professoren Hämer (IBA–Alt) und Kleihues( IBA–Neu), wurden gefragt, ob sie an diesem Tag „glücklich“ seien. Hämer platzte los: „Der 1.Mai (an dem Teile von Kreuzberg in Flammen aufgingen) ist eine furchtbare Quittung für das Nicht–Kapieren–Wollen, eine Quittung dafür, daß die entscheidenden Leute meinten, man hätte in Kreuzberg genug getan.“ (s. Interview) Und, in Anspielung auf die vom Senat erzwungene Umwandlung der öffentlichen Institution IBA–Alt in die privatrechtliche Firma S.T.E.R.N. im Jahre 1986, fuhr er fort: „Ich hätte lieber zurücktreten sollen.“ Der Senator giftete zurück: „Irrglaube des Architekten.“ Das andere Leitfossil, Kleihues von der IBA–Neu, ließ gar nicht erst Zweifel am Beruf des Architekten aufkommen. Bei seinen Bauten gebe es eine „Identitätsbereitschaft der Bewohner“, er könne die Wohnungen der IBA– Neu „10fach vermieten“. Damit wurde noch einmal öffentlich bewiesen, daß zwischen IBA–Alt und IBA–Neu keine gemeinsame Sprache existiert. Die Ausgangsbedingungen für beide Projekte waren diametral entgegengesetzt. Die IBA–neu setzte in einer innerstädtischen Brache an, in der südlichen Friedrichsvorstadt, der ersten Stadterweiterung des barocken Berlins. Real, das heißt nach dem Flächennutzungsplan war das Gebiet undefinierter Rand einer Autobahnplanung. Um die Dimension zu verdeutlichen: vorgestellt, das Gebiet um den Arc de Triomphe in Paris wäre vierzig Jahre lang Brache und würde nun weltweit den Architekten angeboten. Welch ein Streit um die Gestaltung des öffentlichen Raumes wäre zu erwarten. Doch die IBA–Neu war aufs Wohnen festgelegt. „Wohnen in der Stadt“ war hier die klare politische Festlegung. In der Tat konzentriert sich die IBA–Neu in ihrem Ausstellungsteil um Wohnformen, Stadtvillen, Maisonette– Wohnungen. IBA–Alt, auch IBA–arm genannt, war hingegen ein Angebot an die Bewohner im Bezirk (Kreuzberg SO 36 und Luisenstadt). Statt Brache hat dieser Teil von Kreuzberg die größte Bevölkerungsdichte von West– Berlin. Die IBA (und vorher die „Strategien für Kreuzberg“) setzte ein, als der Stadtteil durch Spekulanten, Bauverwaltung, Abschreibeprojekte, Gettoisierung der Türken auf den Weg in Richtung der Bronx von Berlin gedrückt wurde. Die IBA–Alt war von vorneherein Partei, begann als Advokat der Bevölkerung, mußte sich Schritt für Schritt in den Betroffenengruppen Unterstützung verschaffen. „Stadterneuerung“ hieß Entmietungsstopp, Modernisierung so preiswert, daß sie mietneutral bleibt, hieß Mieterbetreuung und -beratung. Sozialplanung und Modernisierung von unten stellte die IBA–Alt immer vor das Glaubwürdigkeits–Problem. Vor allem aber war - nicht zeitlich, sondern politisch - die IBA ein Kind der Besetzerbewegung. Ohne die über hundert Festungen der Kreuzberger Sozialrebellen hätte sie niemals soviel Macht acquirieren können und wäre im ersten Anlauf des Weizsäcker–Senats als Modernisierungsbüro auf wenige Blocks zurückgedrängt worden. Die politische Abhängigkeit von der Besetzerbewegung allerdings brachte die IBA in den Geruch, eine Agentur reformistischer Befriedungsstrategien zu sein. Kreuzberg ist nach wie vor übersät mit Parolen gegen die IBA. Der Erfolgs senatsoffiziell: Gesamtinvestitionen 3,5 Milliarden. Allerdings nur 600 Millionen für die IBA–Alt, die IBA–arm eben. Allerdings: Ganz genau weiß es niemand. Die IBA–Alt errechnet für Kreuzberg ein Investitionsdefizit von 5 Milliarden DM seit 1945. Über Zahlen läßt sich streiten, über das Renommee der IBA vor allem außerhalb Berlins nicht. Die Kette der Wandergruppen durch die IBA–Projekte reißt nicht ab. Gruppen mit Rucksack und Busladungen mit Kommunalpolitikern sind Sonntags auf Tour, zum Unwillen der IBA–beglückten Bewohner: Im modellsanierten Hinterhof in der Dresdner Straße, mit der heißgelieben Remise, hängt das Transparent: „Hier ist kein Zoo!“ Gleichwohl ist die IBA–Alt zur Argumentationsmacht für historische Städte geworden, die sich gegen Spekulationsdruck behaupten müssen, in Istanbul, Athen, Jerusalem. In Istanbul hat sich eine Gruppe formiert, die gegen ein Schnellstraßenprojekt quer durch die Innenstadt protestiert, dokumentiert auf der IBA–Ausstellung. Hinzu kommt das akkumulierte Wissen über Selbsthilfe, von der Behand lung pilzbefallener Träger, wassersparenden Sanitäreinrichtungen, bis hin zum Verwaltungswissen - all das vervielfältigt, publiziert, ganz abgesehen von der praktischen Ausbildung bei Selbsthilfeprojekten. Nicht zuletzt sind 1982 die „Zwölf Grundsätze zur behutsamen Stadterneuerung“ von allen Parteien verabschiedet worden. Allerdings, so Hämer, sie sind „nie wirklich angestrebt worden.“ Die Mißerfolge also: Zum Konzept der Stadterneuerung gehörte eben Entwicklung der „Kreuzberger Mischung“ von Gewerbe und Wohnen. Hier fehlen die Investitionen. Das Gewerbeentwicklungsprojekt „Nägel mit Köpfen“ wurde abgewürgt. Alternative infrastrukturelle Einrichtungen müssen nach wie vor mühsam vorangekämpft werden. Grundsätzlich laufen die Finanzierungen nach dem „stop and go“ Prinzip. Hinzukommt die spezifische Berliner Mischung von Großkotz und Kleinmut: der Neid anderer Bezirke auf die IBA–Bereiche führte dazu, daß im IBA– Bereich sich das Mißverhältnis von Infrastruktur und Stadterneuerung/Neubau verschärfte. Aber die Stadterneuerung hat auch neue Bedürfnisse, vor allem bei den Selbsthilfeprojekten, provoziert, die der IBA–Linie widersprechen: Das Prinzip Beibehaltung von Ofenheizung und Leitungen über Putz (um Mietpreissteigerungen zu verhindern) wird allenthalben durchbrochen. Die Mieten steigen und Teile des Viertels werden schick, während in anderen Ecken das jahrzehntelange Elend fortlebt. Parallel zur IBA–Alt lief in Wedding hemmungslos Kahlschlagsanierung ab. Es entstand - unbekannterweise das größte Neubaugebiet Europas, in dem die Architekten nachweisen durften, daß die Altbauten abrißreif gewesen sind. Und die IBA–neu? Sie hat von 9.000 projektierten Wohnungen 3.000 entstehen lassen, gesuchte Wohnungen, 3.000 sind im Bau. Sie hat sich gleichzeitig 1982 vom Kultursenator Hassemer den „Zentralen Bereich“, den West– Berliner Teil der alten Stadtmitte, aus der Hand nehmen lassen. Mithin hat sie die Gestaltung des öffentlichen Raumes glatt preisgegeben. So bleibt ein einziges opulentes Bilderbuch post–moderner Architektur, mit attraktiven Fassadenabwicklungen, mit Akzenten von Eisemann bis Krier, mit kinderfreundlichen Höfen, Balkonen, Terassen, außen Zitate aus der Architekturgeschichte und innen die Maße des Sozialen Wohnungsbaus. Im Zentralen Bereich stümpern die Politiker und Bauverwaltungen herum und bringen nichts zustande. Klaus Hartung