Gefängnisstrafe im Radikal–Prozeß

■ Sieben Monate mit Bewährung für den Vertrieb der „Radikal“ Nr. 132 / 33jähriger Hanauer geht in die Revision Angeklagter fordert Recht auf „freie Information“ ein / Über 20 weitere Verfahren stehen noch aus

Aus Frankfurt Heide Platen

Keine zehn Minuten dauerte gestern nachmittag die Urteilsverkündung und -begründung im ersten „Radikal“–Prozeß. Der 4. Strafsenat des Frankfurter Oberlandesgerichts verurteilte den 33jährigen Arbeiter Herwig P. aus Hanau zu sieben Monaten Ge fängnis mit Bewährung. Vorsitzender Richter Adam verkündete damit ein Urteil, das dem Antrag der Oberstaatsanwaltschaft entsprach. P. habe mit dem Vertrieb der Zeitschrift „Radikal“ Nr. 132 für die „terroristische Vereinigung RAF“ geworben. Besonders den Gruß „an die Genossen von der Stadtguerilla, die das Sie mens–Vorstandsmitglied Beckurts liquidiert haben“ auf der Rückseite des Heftes wertete Adam als „Aufforderung zum und Verherrlichung von Mord“ und „Lob und Zustimmung für die RAF“. Mit Meinungs– und Pressefreiheit habe dies nichts mehr zu tun. Herwig P. kündigte gegen das Urteil Revision an. Der Verurteilte wehrte sich in seinem Schlußwort gegen „Gesinnungsjustiz“ und begründete die Notwendigkeit einer „unkontrollierten freien Information“ als Gegenpol gegen neue Medien und zunehmende Überwachung der Bürger. Er stellte auch die Frage, ob es politisch sinnvoll sei, eine Zeitung aufwendig aus dem Ausland beziehen und konspirativ vertreiben zu müssen, wenn deren „politische Bedeutung“ doch nur „verschwindend gering“ sei, wie es im Prozeß geheißen hatte. Auch der Name des Blattes „als ewiges Markenzeichen bedeutet falsche Anhänglichkeit an einen Mythos“. Die Verteidigung hatte Freispruch gefordert. Sie ging noch einmal auf den am Mittwoch als Zeugen vernommenen Leiter der Staatsschutzabteilung der Haunauer Polizei ein. Er habe bei der Hausdurchsuchung im vergangenen Sommer „schlampig gearbeitet“ und seine vagen Ausführungen zur „Mitgliedschaft“ des Angeklagten „in der Hanauer autonomen Szene“ nicht präzisieren können. Die Zulassung dieses Verfahrens, so Rechtsanwalt Thomas Scherzberg, sei ein „Angriff auf die Pressefreiheit“. Zur Zeit werden im Bundesgebiet über 20 weitere Verfahren gegen Bezieher der „Radikal“ 132 erwartet.