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Nordseeverschmutzung aus dem Binnenland

■ Aktionskonferenz fordert Umkehrung der Beweislast und weitreichende Umweltverträglichkeitsprüfung Vorsichtige Kontakte zwischen Umweltschützern und Gewerkschaften

Aus Bremen Dietmar Bartz

„Es ist ein mühsames Bohren sehr dicker Bretter“, meinte Sprecher Peter Willers zum Abschluß der zweiten „Aktionskonferenz Nordsee“ (AKN) in Bremen. Zwei Tage lang hatten die etwa 300 Vertreter/innen der großen Umweltverbände und vieler kleiner Initiativen an einem Maßnahmenkatalog gearbeitet, der im November der Ministerkonferenz der Nordsee–Anrainerstaaten in London präsentiert werden soll. Zur Vorbereitung dieser internationalen Konferenz soll im Bundestag in Bonn eine öffentliche Anhörung zum Thema Nordseeverschmutzung stattfinden. Es gb kaum neue Erkenntnisse oder Forderungen gegenüber der ersten AKN vor drei Jahren - das Thematisieren von bisherigen Ta bus ist das wichtigste Ergebnis der Aktionskonferenz. 90 Prozent der Nordsee–Verschmutzung stammen aus dem Binnenland; deshalb sollen auch Nicht–Anrainerstatten wie die Schweiz, die DDR und die CSSR beteiligt werden. Zudem liegt die Ursache der Belastung bereits in der Herstellung und Verwendung von Schadstoffen. „Die Diskussion um das Infragestellen bestimmter Produktionen, etwa in der chemischen Industrie, ist noch sehr schwach entwickelt“, resümierte Dieter Wellershaus vom AKN–Vorstand. Um das zu ändern, fordert die AKN, die Planung von Industrieanlagen, Produktionsverfahren, Stoffströmen und Emissionen offenzulegen. Prinzipiell sollen Nullemissionen gelten - Abweichungen müssen technisch, wirtschaftlich und öko logisch begründet werden. Vor allem aber soll die Beweislast umgekehrt werden: Hersteller und Verwender sollen die Unbedenklichkeit ihrer Stoffe nachweisen, nicht Verbände oder Behörden ihre Gefährlichkeit. Auch durch verbesserte Arbeitsbedingungen seien Betriebsunfälle und Umweltbelastungen vermeidbar. Leiharbeiter, die oft nachlässiger sind als Mitglieder der Stammbelegschaft, gestreßte und durch Überstunden ermüdete Arbeiter würden die Unfallgefahr etwa in chemischen Betrieben beträchtlich erhöhen. Deshalb müßten auch die Unternehmensleitungen und nicht „der kleine Schlosser, der mal ein falsches Ventil öffnet“, zur Verantwortung gezogen werden. Hier berühren sich die Interessen von Umweltschützern und Ge werkschaftern. In einer Arbeitsgruppe zur Strukturpolitik an der Küste versuchten sich beide an einer vorsichtigen Annäherung. So wurde etwa ein Umweltsanierungskonzept gefordert, das explizit an das DGB–Beschäftigungsprogramm „Küste“ für den strukturschwachen norddeutschen Raum mit seinen bis zu 30 Prozent Arbeitslosen angelehnt ist. Doch für die geforderte „sinnvolle Regionalentwicklung“ seien „Strategien notwendig, die wir noch nicht sehen“, meinte Gruppensprecher Rolf München - außer den zwei Milliarden Mark für den überflüssigen und umweltzerstörenden Dollart–Hafen gebe es beispielsweise für Ostfriesland kaum Geld aus Hannover oder Bonn. „Doch wo die Lage hoffnungslos aussieht, redet man mit Leuten, mit denen man vorher nicht geredet hat.“ Die Kontakte sollen zunächst „informell“ fortgesetzt werden. Die Bremer Aktionskonferenz Nordsee ist der deutsche Beitrag zu einer europäischen Kampagne „Seas at Risk“, die noch vor der Londoner Konferenz gemeinsame Forderungen erarbeiten will. Auf einen ihrer Eröffnungsredner mußte die AKN verzichten: Konrad Buchwald, emeritierter Professer für Landespflege an der Uni Hannover und niedersächsischer Landesvorsitzender des BUND, verzichtete auf seinen Vortrag, um seiner Ausladung zuvorzukommen. Dem Autor mehrerer Nordsee–Gutachten waren Veröffentlichungen in rechten Zeitschriften und Kontakte zu nationalrevolutionären Gruppen vorgeworfen worden.

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