Hoffentlich boykottversichert

■ Mehr als 20.000 demonstrierten gegen beginnende Volkszählung / Versicherungen kündigen Rechtsschutz für Boykotteure an

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Zigtausende haben am Wochenende gegen die Volkszählung demonstriert. Allein in Hamburg und Berlin hatten sich mehr als 20.000 aufgemacht, wobei es in Berlin zu Zusammenstößen mit der Polizei kam. Ausgerechnet von den Versicherungskonzernen hat die Vobo– Bewegung jetzt Rückendeckung bekommen: Die Rechtsschutzversicherungen, so der Sprecher der HUK, werden mögliche Ver fahrenskosten für die Ordnungswidrigkeit „Volkszählungsboykott“ übernehmen. In einem Interview führte der HUK–Sprecher aus, Verfahrenskosten seien pro „Schadensfall“ bis zu 100.000 Mark abgedeckt. Offenbar mit Blick auf neue Abschlüsse gab er den Hinweis, der Rechtsschutz gelte auch für jetzt erst abgeschlossene Verträge, da bei Ordnungswidrigkeiten keine Wartezeit gälte. Bei Straftaten im Zusammenhang mit der Volkszählung sei jedoch kein Rechtsschutz gegeben. „Geradezu verwerflich“, schimpfte NRW–Justizminister Krumsiek (SPD), weil der HUK–Sprecher mit seinen Äußerungen „den Boykotteuren offenkundig den Rücken gestärkt“ habe. Krumsiek kündigte mögliche rechtliche Schritte gegen den Versicherungssprecher an. „Notfalls den Gesetzgeber auf den Plan rufen“ will auch der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU Fraktion, Bohl. Fortsetzung auf Seite 2 Eine Rechtsschutzversicherung brauchen derweil jedoch eher die zur Zeit umherschweifenden Zähler, die sich schon in den ersten Tagen zahlreicher Rechtsverstöße schuldig gemacht haben. In Hamburg und Berlin lieferten einige Zähler die Fragebögen für ein ganzes Haus einfach bei Nachbarn ab. In Marburg wurde türkischen Mietern nur kurzfristig eine Übersetzungshilfe ausgehändigt, die der Zähler nach einer halben Stunde aber wieder einkassierte, so daß die Auskunftspflichtigen vor einem völlig unverständlichen Fragebogen standen. In Hamburg–Bramfeld wollte ein Zähler sich unbedingt Zugang zu einer Wohnung verschaffen, ohne seinen Ausweis vorzuzeigen. Begründung: Er sei „Beauftragter der UNO“. Als die Mieter die Polizei riefen, floh er. In Ettlingen bei Karlsruhe haben Schüler in der Mülltonne der neben ihrer Schule eingerichteten Erhebungsstelle fünf Blanco–Ausweise für Zähler gefunden, die sie der örtlichen Vobo–Initiative übergaben. Erste Verfassungsklage Der Karlsruher Rechtsanwalt Eckart Riele hat am Freitag beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen die Gebäudezählung eingelegt. Riele vertritt dabei einen Hausbesitzer, der in erster Instanz vor dem Sigmaringer Verwaltungsgericht mit seiner Klage erfolgreich war, in der zweiten Instanz jedoch unterlag. Die Marburger Anwälte Becker und Hauck haben eine Normenkontrollklage gegen die Durchführungsbestimmungen der Volkszählung eingeleitet, weil sie die Anonymität der Daten nicht gewährleistet sehen und auch die Zählerbenennung in etlichen Gemeinden rechtswidrig sei. Sollte der Hessische Verwaltungsgerichtshof dieser Klage stattgeben, müßte die Volkszählung in Hessen gestoppt werden.