Mit Holzhammermethoden gegen Khalistan

■ Mit der Absetzung der Regierung im Unruhestaat Punjab hat Rajiv Gandhi dem Drängen des Polizeichefs nachgegeben / Reaktion auf immer radikalere Kampagnen der militanten Sikhs: Friseure, Fleischer und Tabakhändler müssen um ihre Existenz fürchten / Im Nachbarstaat Haryana steht die Mehrheit der Congress–Partei auf dem Spiel

Von Uwe Hoering

Julio Francis Ribeiro ist ein harter Bursche, unbestechlich, dynamisch, tapfer, ein Prachtexemplar des indischen Polizeioffizier– Corps, des Indian Police Service. Seit er Ende März letzten Jahres von Rajiv Gandhi zum Polizeichef des Punjab gemacht wurde, richten sich auf ihn alle Hoffnungen, die militanten Sikhs unter Kontrolle zu bringen. Ein Massaker an Hindus, mit dem die Militanten im Frühjahr 86 seinen Amtsantritt begrüßten, war eine Kriegserklärung, die er ohne Zögern annahm. Kugel um Kugel war die Devise, mit der er der angeschlagenen Moral der Polizei, die den Aktionen der Militanten wenig entgegenzusetzen hatte, wieder auf die Beine half. Eine Reihe steckbrieflich gesuchter Sikh–Militanter wurden verhaftet, viele kamen bei Feuergefechten ums Leben. Den Vorwurf, die Polizei „liquidiere lieber als zu verhaften“, konterte er kühl: „Wenn jemand auf uns schießt, töten wir ihn“. Verhindern konnte er damit nicht, daß die Massaker und Einschüchterungskampagnen weitergingen. 24 Buspassagiere, alle Hindus, starben im November letzten Jahres in Hoshiapur, mehrfach wurden Söhne hoher Polizeibeamter erschossen. Ribeiro selbst entging mitten in einem befestigten Polizei–Camp nur knapp einem Anschlag. Im April eröffneten die Fundamentalisten eine neue Front. Mit der Pistole wollen sie seither Sikh–Moral durchsetzen und zwingen Schnapshändler, Metzger und Zigaretten–Verkäufer, ihre Geschäfte einzustellen. Auf Plakaten, die in Dörfern und Städten auftauchten, ordneten sie unter anderem an: kein Alkohol, kein Fleisch oder Zigaretten, kein Bartschnitt für Männer oder gezupfte Augenbrauen für Frauen, kein Tanz und Musik bei Hochzeiten und keine modische Kleidung. Strenggläubige Sikhs fanden das ganz in Ordnung, die Ablehnung der zahllosen Sikhs, für die sharab aur kebab, Wein und Fleisch, zum guten Leben gehören, blieb dagegen aus Furcht vor Repression gedämpft. Ribeiro, der die Zahl der hartgesottenen Kämpfer auf lediglich 90 Personen beziffert - hauptsächlich Mitglieder der Khalistan Commando Force, der Khalistan Liberation Front und der Babbar Khalsa - konnte nicht verhindern, daß die Fundamentalisten weiter nach Belieben agierten und der Zulauf von zumeist jugendlichen Sikhs unvermindert anhielt. Ihre Schlagkraft und auch ihr Rückhalt in der Sikh–Bevölkerung scheinen stark wie eh und je - trotz des Bilderbuch–Polizisten Ribeiro, der sich selbst aus den Reihen der Congress–Partei Kritik einhandelte: „Er ist bereits mächtiger als jeder andere Polizeichef im Land, und wenn er noch mehr Macht bekommt, werden wir in einem Polizeistaat leben“. Chance auf Versöhnung verspielt Die Atempause, die das Abkommen zwischen Rajiv Gandhi und den gemäßigten Sikhs im Sommer 1985 und die anschließende Bil dung einer Landesregierung, geführt von dem Sikh–Politiker S. S. Barnala, brachte, wurde nicht genutzt, um die Ursachen des Konflikts anzugehen. Ministerpräsident Barnala war voll damit beschäftigt, sich durch Lavieren zwischen den verschiedenen Fraktionen und Interessengruppen der Sikhs auf seinem Amtssessel zu halten. Trotzdem bröckelten seine Basis und sein politischer Einfluß unaufhaltsam. Nachdem er im Januar eine Polizeiaktion gegen den Goldenen Tempel angeordnet hatte, den Fundamentalisten als Plattform für die Ausrufung des Sikh–Staates Khalistan benutzt hatten, spaltete sich die Regierungspartei Akali Dal. Im vergangenen Februar gelang es den Fundamentalisten, bei der Neuwahl des einflußreichen Sikh–Priesterrates ihre Kandidaten durchzubringen, die Barnala umgehend wegen Ungehorsams aus der Sikh–Gemeinschaft ausschlossen. Am Ende verdankte Barnala sein politisches Überleben nur noch dem Wohlwollen Rajiv Gandhis. Frustriert meinte ein alleingelassener Ribeiro: „Wichtiger als Polizeiaktionen ist die Überzeugungsarbeit, doch daran hapert es“. Seine Klage über die mangelnde Unterstützung durch Barnala und die häufige Einflußnahme von Sikh–Politikern auf seine Personalentscheidungen, verbunden mit der Ankündigung, Ende Mai in Pension zu gehen, war denn wohl auch der Anstoß, daß Rajiv Gandhi die Landesregierung Anfang letzter Woche absetzte. Auch die Zentralregierung hatte es nicht geschafft, „die Herzen der Bevölkerung zu gewinnen“, ohne die nach Ribeiros Eingeständnis sein Durchgreifen nicht erfolgreich sein konnte. Während Gandhi mit der Entsendung immer neuer Einheiten von Polizei und Paramilitär nicht kleinlich war, blieb die propagandistische Munition aus, mit der den Fundamentalisten die stillschweigende oder offene Unterstützung vieler Sikhs hätte entzogen werden können. Wesentliche Bestandteile des Abkommens zwischen den gemäßigten Sikhs und Rajiv Gandhi vom Sommer 1985, dessen Einlösung erst jüngst wieder von einem führenden Minister in Gandhis Kabinett, P.V. Narasimha Rao, als Schlüssel zur Lösung des Konflikts bezeichnet wurde, blieben unerfüllt: Die Stadt Chandigarh muß sich der Punjab immer noch mit dem benachbarten Bundesstaat Haryana als Hauptstadt teilen. Noch immer sitzen mehrere hundert Sikhs ohne Gerichtsverfahren im Gefängnis, die bei der Erstürmung des Goldenen Tempels vor drei Jahren festgenommen wurden. Die Verantwortlichen für die Massaker an Sikhs im November 1984 blieben weitgehend ungeschoren. Die Doppelstrategie von Härte und Verständigung, von Krieg gegen die Militanten und Überzeugungsarbeit unter der Bevölkerung, von Ribeiro und Barnala, ist gescheitert. Daß ihr Bundesstaat nun direkt der Zentralregierung untersteht, ist für die Punjabis nichts Neues; begeisterte Hoffnungen auf eine Lösung bringt dies angesichts früherer Verfahren mit dieser Presidents Rule allerdings auch nicht. Immerhin hat Polizeichef Ribeiro damit wie gewünscht „noch mehr Macht bekommen“, wofür er sich damit bedankte, daß er seinen angekündigten Abgang in die Pensionierung erstmal widerrief. Wahlen vor der Tür Doch für Rajiv Gandhi und seine Zentralregierung stand mehr auf dem Spiel als nur die Gefahr, den Mann zu verlieren, dem am ehesten ein wirkungsvolles polizeiliches Durchgreifen zugetraut wird. Es drohte auch der Verlust eines ganzen Bundesstaates. In Haryana, dem südlichen Nachbarstaat Punjabs, stehen nämlich für Mitte Juni Parlamentswahlen an. Die Wahl in Haryana ist für Rajiv Gandhis Congress–Partei eine Schlüsselwahl. Nachdem sie bei verschiedenen Landtagswahlen in den vergangenen Monaten bereits empfindliche Schlappen hat einstecken müssen, würde eine Niederlage in ihrer politischen Hochburg, dem bevölkerungsreichen nordindischen „Hindi–Gürtel“, katastrophal sein. Eine solche Niederlage ist nicht ausgeschlossen, nachdem selbst wichtige Congress–Politiker aus Protest gegen die Punjab–Politik ihres Parteichefs ins Oppositionslager wechselten. Die Opposition in Haryana hat es in den vergangenen Monaten verstanden, aus dem Punjab–Abkommen politisches Kapital zu schlagen. Stoff für Zoff bietet insbesondere der Streit um das Wasser der Flüsse Ravi und Beas, das sich Punjabs und Haryanas Bauern teilen müssen. Das Abkommen sieht Verhandlungen über eine Wasserquotierung und den Bau eines Kanals nach Haryana vor. Doch angesichts schleppender Fortschritte fürchten die hinduistischen Bauern Haryanas, daß ihnen die Sikh–Bauern das Wasser abgraben wollen. Auch der Gebietsaustausch, bei dem Haryana für den Verlust der bislang gemeinsamen Hauptstadt Chandigarh durch ein Stück vom Punjab und staatliche Gelder für den Bau einer neuen Hauptstadt entschädigt werden soll, scheiterte mehrfach am Einspruch der Landesregierung, die von Rajiv Gandhis eigener Partei gestellt wird. Mit zahlreichen Massendemonstrationen hat die Opposition bewiesen, daß sie Haryanas Bauern mit dem Vorwurf mobilisieren kann, Rajiv Gandhi wolle die Sikhs im Punjab bevorzugen. Die Rücksichtnahme auf diese Proteste und der Widerstand der eigenen Parteifreunde, die um ihre Wiederwahl fürchten, verhinderten bislang die Umsetzung der substantiellen Bestandteile des Abkommens. Diese Verschleppungstaktik rächt sich jetzt. Mit der Absetzung der Landesregierung im Punjab mußte Rajiv Gandhi die Notbremse ziehen. Die Wahl in Haryana fest im Visier, demonstriert er Entschlossenheit; mit Ribeiro hat er einen Garanten für hartes Durchgreifen an der Hand. In der vergangenen Woche wurden 800 Sikhs verhaftet. Eine politische Lösung des Punjab–Konfliktes ist weiter aufgeschoben.