Heute traktorfreier Dienstag in Brüssel

■ Demonstration gegen EG–Agrarminister / Preissenkungen wegen Etat–Lücke

Von Ulli Kulke

Berlin (taz) - Wer heute seinen Acker in Brüssel bestellen will, wird es unter Umständen schwer haben. Die örtlichen Behörden untersagten für den heutigen Dienstag, mit Traktoren oder anderem landwirtschaftlichen Gerät in die belgische Hauptstadt einzufahren. Der Grund: Eine Großdemonstration unzufriedener Bauern aus allen EG–Staaten wird erwartet, die gegen die Konferenz der EG–Agrarminister protestieren wollen. Sparbeschlüsse im Landwirtschaftshaushalt stehen an, von denen sich die Bauern bzw. ihre Funktionäre betroffen fühlen. Die Sitzung ist zwar offiziell nur auf zwei Tage (gestern und heute) angesetzt, angesichts der allseits angekündigten harten Verhandlungen geht man jedoch von einer Marathonveranstaltung aus, die bis zum Wochenende oder darüber hinaus dauern wird. Hintergrund des Ganzen ist eine gigantische Finanzlücke im Etat der EG, die vor allem im Agrarhaushalt begründet ist. Zehn Milliarden DM fehlen der Gemeinschaft, die sich nach eigenen Richtlinien nicht verschulden darf. Der gesunkene Dollarkurs senkte im laufenden Jahr die Weltmarktpreise für landwirtschaftliche Produkte in der europäischen Rechnungseinheit Ecu gerechnet. Und wenn die EG–Behörden diese Produkte, nachdem sie sie zu hohen Garantiepreisen von der eigenen Agroindustrie aufgekauft hat, exportieren will, erzielt sie entsprechend geringere Preise in Ecu. Zur Deckung dieser Finanz lücke hat die EG–Kommission - quasi die „Regierung“ der Gemeinschaft, die aber von der Zustimmung der jeweiligen Fachminister abhängt - ein Einfrieren der Stützpreise für die Garantieprodukte vorgeschlagen. Darüber ist vor allem Bundeslandwirtschaftsminister Kiechle erbost. Der bundesdeutsche Agrarbereich wäre hiervon besonders betroffen, weil gleichzeitig der „Grenzausgleich“ abgebaut werden soll, der Einkommensverluste der bundesdeutschen Agrarexporteure bei DM–Aufwertungen kompensiert. Kiechle rechnet seinen Kollegen vor, daß durch den bereits vollzogenen schrittweisen Abbau des Grenzausgleichs die Bauern des traditionellen Abwertungslandes Frankreich seit 1970 Preiserhöhungen von 60 Prozent erhielten. Auf der anderen Seite hätten die bundesdeutschen Landwirte eine Preissenkung um 20 Prozent erleiden müssen. Kiechle drohte darob bereits ein Veto in der Ministerrunde an, weil er die „Existenz der bundesdeutschen Landwirtschaft gefährdet“ sieht. Er hat jedoch schlechte Karten, weil das europäische Parlament in der vergangenen Woche ausdrücklich die Abschaffung des Grenzausgleichs begrüßt hat, auch wenn die Abgeordneten hierbei keine Entscheidungsbefugnis haben. Ein weiterer Konfliktpunkt ist die ebenfalls von der Kommission vorgeschlagene Einführung einer Steuer auf pflanzliche Fette und Öle. Da die Öle vor allem in den Mittelmeerländern hergestellt werden, drohen hier den ohnehin ärmeren Gemeinschaftsteilen weitere Einkommenseinbußen. Das Problem der Massenproduktion von Öl, das von der Gemeinschaft zu garantierten Preisen abgenommen wird, vergrößerte sich vor allem seit dem Beitritt der „Ölexport“–Länder Spanien und Portugal. Sollten sich die Agrarminister zur Einführung einer Steuer entschließen, dürfte auch internationaler Ärger anstehen. Fette gehören zu den Agrarprodukten, die beispielsweise auch die USA in der EG noch massenweise absetzen. Minister Kiechle trat indessen mit einem anderen Vorschlag an die Öffentlichkeit. In einem Interview mit dem Süddeutschen Rundfunk forderte er eine „Regionalisierung“ der EG–Agrarpolitik: „Laßt uns eine gemeinsame Zielsetzung haben, aber laßt den einzelnen Mitgliedsstaaten Spielräume bei der Verwirklichung“. Bislang erlaubt die EG nur in sehr begrenztem Maße nationale Beihilfen für die Landwirtschaft.