Mahnmal gegen das herrschende Regime

■ Kwangju ist die Kernzelle des südkoreanischen demokratischen Widerstands gegen das Chun–Regime / Die Erinnerung an den vor sieben Jahren niedergeschlagenen Aufstand ist immer noch lebendig / Friedhof als Proteststätte / Mit Taucherbrillen gegen das Tränengas

Aus Kwangju Jürgen Kremb

„Der Eingang zu unserer Universität liegt in einer Mulde“, sagt der junge Professor fast entschuldigend und hält sich die Hand vor Mund und Nase. „Den Geruch von Tränengas kriegen wir fast nie los, höchstens in den Ferien.“ In diesem Frühjahr gibt es keinen Besucher, der beim Betreten der „Nationalen Hochschule“ der südkoreanischen Stadt Kwangju nicht niesen muß und mit rotgeschwollenen Augen zu kämpfen hat. Einige seiner Kollegen, meint der Hochschullehrer, hätten sich schon angewöhnt, mit der Taucherbrille zur Arbeit zu kommen. Demonstrationen auf dem Campus und die anschließenden Straßenkämpfe gehören in Kwangju zum Alltag. Seit Elitetruppen im Mai 1980 in der Stadt einen bewaffneten Aufstand brutal niedermetzelten, ist die Ein– Millionen–Metropole zu einem Kristallisationspunkt des Widerstands gegen die südkoreanische Militärregierung geworden. „Die 2.000 Toten von Kwangju sind die Last, unter der Chun Doo– Hwan erdrückt wird“, sagt ein älterer Mann. „Das Massaker am eigenen Volk hat ihm bisher kein Koreaner vergeben. Wenn wir heute freie Wahlen hätten, würden nicht einmal 20 Prozent in Kwangju für die Regierung stimmen.“ In Kwangju herrscht Belagerungszustand. Innerhalb weniger Stunden kann die Polizei mehrere Divisionen zusammenziehen. Oft sind mehr Polizisten als Demonstranten auf den Straßen. Meist sind es junge Rekruten, die ihren dreijährigen Grundwehrdienst ableisten müssen und dann zur Polizei an die innenpolitische Front geschickt werden. Es ist schwierig, etwas über die Vorgänge zwischen dem 18. und dem 22. Mai 1980 herauszufinden. „Ich weiß wenig davon“, sagt ein junger Dozent und schließt automatisch seine Bürotür ab, als die Rede auf das Massaker kommt. „Bringen Sie bloß nicht meinen Namen. Das kostet mich den Job.“ Niemand spricht im Kreis von Kollegen über Politik. Das Massaker gilt als Tabu. Kein Wunder, denn an der Universität wimmelt es von Polizeispitzeln. Doch spät am Abend haben sich einige Betroffene im versteckten Hinterzimmer eines Restaurants zusammengefunden, um sich an den Jahrestag zu erinnern. „Es begann mit Demonstrationen am 18. Mai 1980“, resümiert ein älterer Mann. „Die Leute spürten, daß es nach der Ermordung von Park Chun–Hee Ende 1979 einen Militärcoup geben würde.“ Als die Protestzüge dann wieder von der Polizei niedergeschlagen wurden, stürmten die aufgebrachten Kwangjuer eine Kaserne. Die Demonstranten erbeuteten ohne Gegenwehr 2.000 veraltete Gewehre und besetzten das Gebäude der Stadt– und Provinzverwaltung. „Kwangju war für kurze Zeit von den Militärs befreites Gebiet“, meint ein älterer Mann, der die damaligen Aktionen führte. Doch schon am 20. Mai ließ Chun Doo–Hwan Elitetruppen von der Grenze zu Nordkorea abziehen. „Eine militärisch so sensible Operation kann nur mit Zustimmung der Amerikaner geschehen sein“, meinte eine junge Frau aus dem Gesprächskreis. Ein Vorwurf, der in Südkorea dieser Tage allenthalben zu hören ist und als Hauptquelle des rapide um sich greifenden Hasses gegen die 40.000 GIs in Südkorea dient. Als die koreanischen Fallschirmspringer im Morgengrauen des 21. Mai 1980 gegen die aufständische Provinzhauptstadt vorrückten, hatten sich mehrere tausend Männer und Frauen in der Stadtregierung verschanzt. „Es gab ein furchtbares Blutbad“, erzählt die Mutter eines getöteten Studenten. „Nicht nur Bewaffnete wurden hingemetzelt, sondern auch viele Unschuldige.“ Offiziell gibt die Regierung Chun, die sich wenige Monate nach dem Massaker als Zivil–Regime bestätigen ließ, 200 Todesopfer zu. „Doch das sind nur die Toten aus der Stadt Kwangju“, sagt ein Schriftsteller. „Viele Demonstranten kamen von außerhalb. Insgesamt 2.000 gelten seit diesem Tag als vermißt.“ Taxifahrer sahen in den Nächten nach dem Gemetzel Lastwagen voller Leichen, die zu eilends ausgehobenen Massengräbern vor der Stadt fuhren. Selbst Mitglieder kirchlicher „Friedenskomitees“ wurden zu hohen Haftstrafen verurteilt, militante Demonstranten oft zum Tode. Nur internationaler Druck befreite die meisten vom Galgen. Auch der Oppositionspolitiker Kim Dae–Jong, der in der Nähe Kwangjus geboren ist, wurde wegen angeblichen „Aufrufs zur Spaltung des Landes“ zum Tode verurteilt, obschon er während des Aufstandes selbst gar nicht vor Ort war. Trotz seiner geschäftigen und prosperierenden Fassade ist Kwangju seit dem Mai 1980 nie mehr richtig zum Alltag zurückgekehrt. Hier ist der Widerstand gegen das Militärregime tiefer verwurzelt als in anderen Städten. Als im letzten Jahr die Oppositionspartei zu Demonstrationen für eine demokratische Verfassungsreform im ganzen Land aufrief, gingen in der südlichen Stadt mehr als 100.000 auf die Straße - immerhin mehr als ein Zehntel der Bevölkerung. Bei zahlreichen Protestaktionen pilgern die Angehörigen der Toten zusammen mit Studenten–, Arbeiter– und Bauerngruppen zu dem Friedhof vor der Stadt, wo heute 184 Opfer des Aufstandes vom Mai 1980 begraben sind. „Vergeblich hat die Militärregierung versucht, die Verwandten zu zwingen, ihre Gräber auf andere Friedhöfe umzusiedeln“, sagt ein Mitglied der städtischen Protestbewegung, „doch wir werden dafür sorgen, daß es als Mahnmal gegen das amtierende Regime erhalten bleibt“.