: Vier Jahre für NS–Ärzte
■ Urteil im Frankfurter Euthanasie–Prozeß gegen die Ärzte Ullrich und Bunke / Verfahren vorerst abgeschlossen / Rechtsanwälte kündigen Revision an
Aus Frankfurt Heide Platen
Zu je vier Jahren Gefängnis hat die 22. Strafkammer des Frankfurter Landgerichts am Montag die beiden Frauenärzte Dr. Aquilin Ullrich und Dr. Heinrich Bunke verurteilt. Damit ging einer der letzten NS–Prozesse in der Bundesrepublik zu Ende. Die beiden Ärzte waren angeklagt, in zwei der sechs Vernichtungslager des Nationalsozialismus gearbeitet zu haben, in denen Kranke als „lebensunwertes Leben“ und „überflüssige Esser“ mit Kohlenmonoxid vergast wurden. Das Gericht lastete ihnen Beihilfe zum Mord an 4.500 bzw. 11.000 Menschen an. Das Verfahren, das diesmal über ein Jahr dauerte, hatte sich seit Beginn der Ermittlungen gegen die Ärzte im Jahr 1961 dahingeschleppt. Vorsit zende Richterin Johanna Dierks blieb mit ihrem Urteil zwei Jahre unter dem Strafmaß, das Oberstaatsanwalt Eckert gefordert hatte. Sie lastete die Verzögerung des Prozesses nicht alleinig den Angeklagten an. Die beiden Ärzte hatten sich seit 1971 verschiedene Krankheiten und damit Verhandlungsunfähigkeit bescheinigen lassen. Ein 1967 ergangener Freispruch war vom Bundesgerichtshof wegen erheblicher Widersprüche in der Urteilsbegründung wieder aufgehoben. Dies könne, so Dierks, den Angeklagten nicht allein zur Last gelegt werden. Die Staatsanwaltschaft habe sich „jahrelang“ mit den Gutachten der Ärzte „zufriedengegeben“. Das Gericht schilderte die Arbeit der Angeklagten in den Vernichtungslagern in Brandenburg und Bernburg. Sie seien dorthin gegangen, überredet durch von ihnen verehrte Wissenschaftler, um am „Gnadentod“ unheilbar Kranker mitzuwirken. Fortsetzung auf Seite 2 Spätestens bei ihrer Ankunft hätten sie aber beide erkennen müssen, daß diese „echte Euthanasie“ in Wirklichkeit willkürliches Töten gewesen sei. Sie hätten den Morden an den wehr– und arglosen Kranken mit ihren weißen Kitteln den Anschein einer ärztlichen Untersuchung gegeben und die Todesnachrichten an die Verwandten unter falschem Namen mit „phantasierten“ Todesursachen versehen. Ullrich hatte zugegeben, als Assistent auch mehrmals selbst den Gashahn bedient zu haben. Den von der Verteidigung angenommenen „Verbotsirrtum“ ließ Richterin Dierks nicht gelten. In ihren Plädoyers hatten die Verteidiger geltend gemacht, daß der Zweck einer Haftstrafe bei den beiden Angeklagten nicht mehr erreicht werden könne. Strafe solle vorwiegend resozialisierend wirken. Dazu hieß es in der Urteilsbegründung: „Auch Sühne ist ein Strafzweck.“ Die Staatsanwaltschaft hat bereits vorhergesagt, daß die Angeklagten wegen ihres hohen Alters und Gesundheitszustandes „keinen einzigen Tag“ in Strafhaft verbüßen werden. Zu den Personen der Angeklagten sagte Johanna Dierks, sie hätten immerhin keinen Nutzen aus ihren Taten gezogen. Als sie merkten, worauf sie sich eingelas sen hätten, hätten sie das Unrecht zwar erkannt, aber „nicht den Mut und nicht die Kraft gehabt, sich loszusagen“. Bunke habe für sich während des Verfahrens immerhin eine moralische Schuld anerkannt, während Ullrich noch heute die Ansicht vertrete, er habe Menschen „erlöst“ und aus „Liebe zu den Menschen“ gehandelt. Nach Auskunft ihrer Rechtsanwälte wollen beide Angeklagte eine Revision des Verfahrens beim Bundesgerichtshof erreichen. Der dritte Angeklagte Endruweit, dessen Verfahren abgetrennt wurde, ist wegen einer Nierenkrankheit dauerhaft verhandlungsunfähig.
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