Fellinis Achtzehneinhalb

■ Thierry Chervel zum letztenmal aus Cannes

Ca y est: Die Preise sind verliehen. Wenn ich nur wüßte, an wen. Bekanntlich ist die taz von heute von gestern. Alles in allem war das Festival nicht so schlecht, wie es anfangs schien. Nach einem müden Start drängten sich in den letzten Tagen die Ereignisse: Im Wettbewerb kam noch Barbette Schroeders Barfly nach Bukowski mit Mickey Rourke, der zu sehr von seiner Kunst überzeugt ist, um auf ihrer Höhe zu sein, als genialisch–lumpenproletarischem Dichter und Faye Dunaway als seiner ebenfalls trinkenden Freundin; außer Wettbewerb Woody Allens Radio Days, witzige und traurige Episoden aus der Zeit, als es noch kein Fernsehen gab, Schlöndorffs A gathering of old men, ein engagierter, dennoch gelungener, sehr souveräner Film über die Probleme zwischen Schwarzen und Weißen in Louisana, Patrice Chereaus Hotel de France nach Tschechow, brillant, mir etwas zu brillant gespielt von den Absolventen des Konservatoriums in Nanterre, und Federico Fellinis Intervista. Intervista ist gewissermaßen, mitgezählt habe ich nicht, Fellinis Achtzehneinhalb , nur daß diesmal nicht Mastroianni Fellini darstellt, sondern Fellini Fellini und Mastroianni Mastroianni. Intervista „spielt“ in Cinecitta. Fellini bereitet sein neues Projekt vor, Kafkas Amerika , das ja tatsächlich sein neues Projekt ist. Er wird von einem japanischen Fernsehteam heimgesucht, das ihm aufdringliche Fragen nach seinen Anfängen stellt. Fellini läßt sich nicht lumpen und stellt nach, inszeniert mit allen Mitteln Cinecitta , traumhaft entrückt, wie er als junger Journalist zum erstenmal nach Cinecitta kam, um eine berühmte Schauspielerin zu interviewen. So gibt er sich wieder einmal Gelegenheit, sein immerwährendes, kindliches Staunen über diese Maschinerie fortzuführen, wie er darin tätig, die Kamera– Kräne und Scheinwerferbatterien, die Pappmache–Dekorationen und die Zirkusmusik. Film im Film, wie in Good morning Babylonia von den Brüdern Taviani, aber Fellini kann es viel besser, nicht weil er weniger sentimental wäre, sondern weil er es versteht, diese Sentimentalität und Rührung über sich selbst (anscheinend eine immanent italienische Fähigkeit) zum Exzeß zu treiben. Am schönsten natürlich das Wiedersehen Marcello Mastroianni - Anita Ekberg, alles fürs japanische Fernsehen: Federico und Marcello besuchen Anita in ihrer Villa. Alle drei sind älter geworden, aber doch nicht gealtert. Marcello zaubert ein Laken von der Decke, hinter dem er mit Anita tanzt. Wie von selbst projizieren sich dann die Bilder von La dolce vita aufs Laken: wie die beiden tanzen, die Brunnen–Szene. Fellini scheut das Risiko nicht. Immerhin könnte es doch sein, daß er recht hat, daß früher alles besser war. Thierry Chervel