Hallo Kunzelmann, komm zurück

■ Gesucht wird der abgetauchte Ex–Kommunarde Dieter Kunzelmann, zusammen mit drei taz–Redakteuren angeklagt in einem Prozeß wegen „Verunglimpfung staatlicher Symbole“ / Von Mechthild Küppers

Er arbeite an einem Beitrag der Justiz zur 750–Jahr–Feier Berlins, ließ Dieter Kunzelmann der taz aus dem Untergrund ausrichten. Wie dieser Beitrag aussehen könnte, ist bereits jetzt leicht absehbar. Seit März 1986 versucht die Berliner Justiz sich an der Würdigung eines Interviews, in dem Kunzelmann via taz der politischen Elite der Stadt mitteilen ließ, hier würde politische Herrschaft durch eine kriminelle Vereinigung ausgeübt. Da das Gericht sich weigerte, Kunzelmann die Möglichkeit für den Wahrheitsbeweis seiner Aussagen zu geben, ging der Ex–AL–Abgeordnete zum zweiten Mal in den Untergrund. 1970 brauchte die Staatsgewalt fünf Monate, um des Wandlungsfähigen (siehe Fotos oben) habhaft zu werden. So lange wird es diesmal nicht dauern. Der Haftbefehl vom 4. Mai 1987 soll lediglich sicherstellen, daß Kunzelmann vorm Amtsgericht erscheint, um sich wegen eines Delikts namens „Verunglimpfung staatlicher Symbole“ zu verantworten. 1970 suchte man Dieter Kunzelmann wegen des Verdachts der „gemeinschaftlich versuchten, menschengefährdenden Brandstiftung“. Man fand den Wandlungsfähigen erst fünf Monate nach Ausstellung des Haftbefehls. Liebhaber seiner Polit– Kunst vermuten, daß er sich diesmal am 2. Juni 1987, am Jahrestag des folgenschweren 2. Juni 1967, der Polizei stellen wird. Erst wenn Kunzelmann in Haft genommen ist, kann der Prozeß gegen ihn und drei Journalisten weitergehen. Wie sich die Zeiten geändert haben: Vor 17 Jahren ging es ums Ganze, sprich, den Staat. Heute geht es auch um den Staat, aber verteidigt werden die hohen Rechtsgüter vom Ex–Kommunarden, Ex–Knacki und Ex– Abgeordneten Dieter K. Im März 1986 - es waren die hitzigsten Antes–Zeiten, immer neue Enthüllungen über Schiebung und Korruption im Baugewerbe erschütterten die Öffentlichkeit, und drei Wochen später mußten drei Senatoren ihr Amt abgeben - erschien im Berliner Lokalteil der taz unter der Überschrift „Eine Selbstverständlichkeit, daß man kein Verbrecher ist“ ein Interview mit Dieter Kunzelmann. Darin stellte er unter anderem fest: „Durch das, was jetzt an die Oberfläche steigt - und wir sehen ja erst die Spitze des Eisbergs - wird einfach für jeden nachvollziehbar, daß die Kriminellen der Senat und die Verwaltung und die Unternehmer und die Hauseigentümer sind. Und daß diejenigen, die für andere Verhältnisse eintreten, im Recht sind und dieses Recht einfordern müssen.“ Kein Senator, kein Baustadtrat, kein Unternehmer, niemand fühlte sich beleidigt. Doch Staatsanwalt Heinke im Hause des Senators für Justiz und Bundesangele genheiten, Rupert Scholz, CDU, verfaßte am gleichen Tag noch ein kurzes Schreiben an die Staatanwaltschaft beim Landgericht. „Mit der Bitte um Prüfung, ggf. weitere Veranlassung und Bericht übersende ich in Ablichtung das in der TAZ vom heutigen Tag abgedruckte Interview mit Dieter Kunzelmann.“ Die unabhängige, nicht weisungsgebundene Institution Staatsanwaltschaft begann zu ermitteln. Im November 1986 wurde Anklage wegen „Verunglimpfung staatlicher Symbole“ erhoben, im Dezember zur Hauptverhandlung zugelassen. Gegen Dieter Kunzelmann läuft das Verfahren, weil er das Interview gegeben hat. Gegen die beiden Interviewer, weil sie ihn nicht zensierten. Und gegen den verantwortlichen Redakteur, weil er den Abdruck zuließ. Der Paragraph 90a ist ein Offizialdelikt, das heißt, es wird von Amts wegen strafrechtlich verfolgt. Der Prozeß begann am 28. April 1986. In einer Verhandlungspause des ersten Tages verschwand Kunzelmann und ließ seinen Anwalt gegen die Prozeßführung protestieren. Richter Heinz Scholz ordnete die polizeiliche Vorführung des Angeklagten Kunzelmann an. Doch auch am nächsten Prozeßtag, eine Woche später, über ein Jahr nach dem inkriminierten Interview, blieb Kunzelmann verschwunden. Die Polizei hatte ihn nicht gefunden. Das Gericht mochte sich nicht entscheiden, das Verfahren gegen ihn von dem gegen die drei Mitangeklagten abzutrennen. Kunzelmann als Persönlichkeit des öffentliches Lebens muß sich zu einer Anklage äußern, die in den letzten Monaten in ein immer seltsameres Licht geriet. In dem einen Jahr, das zwischen Interview und Prozeß liegt, eröffnete sich dem erstaunten Berliner Publikum ein dichtes Netz von Liebe zum Bargeld bei öffentlichen Bediensteten. Im März 1986 brauchte Kunzelmann für seinen Satz: „Hier wird politische Herrschaft ausgeübt durch eine krimi nelle Vereinigung“ kein Prophet sein. Drei Senatoren mußten gehen: Bei allen Rücktritten spielte Geld eine Rolle. Ein CDU–Staatssekretär, oft gepriesenes Muster an preußischer Korrektheit, wartet noch heute im Gefängnis auf seinen Prozeß. Ein Baubeamter erzählte munter vor Gericht, seinen Lebensunterhalt habe er mit den „Zuwendungen“ aus der Branche bestritten, gebaut habe er mit seinem regulären Gehalt. Schwarze Kassen bei der CDU mußten eingeräumt werden, einer ihrer Bezirksbürgermeister mußte abtreten. Und so weiter. Wenn zwei das gleiche sagen, ist es immer noch nicht dasselbe. Auch einem Gewerkschafter fiel nach der Serie von Rheinverseuchungen die anschauliche politische Metapher von der „kriminellen Vereinigung“ für die Chemische Industrie ein. Und so gut sich Kunzelmann in der Rolle des Bürgerschrecks macht, so bildschön paßt das Verhalten der Justizbehörde ins behäbig–festliche 750–Jahres–Jubiläum. Bierernst befaßt sich der Staatsanwalt mit der Vorstellung, Kunzelmann habe mit seiner Äußerung gemeint, die demokratische Institution Senat arbeite wie die Mafia: jeden Dienstag träfen sich die Freunde der italienischen Oper im Senats–Sitzungssaal und schöben einander die Millionen zu. Weit weniger grotesk, aber erheblich schwerwiegender ist, daß die Vermutung Kunzelmanns, auf die Staatanwaltschaft werde „Einfluß ausgeübt“, durch ihren Vertreter nicht ernst genommen wird. „Er und jeder objektive Leser“ seien sich der „Nichternsthaftigkeit“ dieser Annahme bewußt, vermutet der Staatsanwalt. „Wenn es so weit ist, daß die beste Voraussetzung für einen guten Politiker die ist, daß er sauber ist, dann sagt das nur, wie tief der Sumpf ist. Das ist doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit, daß man kein Verbrecher ist“, sagte Kunzelmann. Der Staatsanwalt dagegen ist sich sicher, es sei ihm damit „allein auf eine bloße Herabwürdigung des Senats und somit zugleich des Landes Berlin angekommen“. Es mag der „objektive Leser“ urteilen, wer das Land Berlin „herabwürdigte“. Und weil schon alles so seltsam ist und ein Majestätsbeleidigungsverfahren ohne Beleidigte stattfinden soll, wurden auch gleich noch die journalistischen Überbringer der Kunzelmannschen Botschaft mitangeklagt. Das wiederum sträubt dem kleineren Koalitionspartner der regierenden CDU die Haare. Ein „merkwürdiges Presseverständnis“ sah der stellvertretende FDP–Fraktionsvorsitzende Fabig in der Anklage gegen die taz–Redakteure. „Wenn es in unserem Rechtsstaat für Journalisten nicht mehr möglich sein sollte, ohne vorherige Prüfung aller denkbaren juristischen Auswirkungen Interviews zu führen und abzudrucken, dann ist es um unsere Pressefreiheit schlecht bestellt“, urteilte er. Ein Kollege aus dem Hause Springer, sattsam vertraut mit dem faktischen Hintergrund dessen, was hierzulande „Sumpf“ genannt wird, ging weiter: „Ihr steht auch stellvertretend für die konservative Presse vor Gericht.“ Das sind schlechte Zeiten für die CDU. Nicht nur, weil erst aus dem Hause eines ihrer Senatoren die Aufforderung zur Ermittlung ergehen mußte, bevor jemand Beleidigte sah. Wenn es zu einer Verurteilung kommen sollte, wenn die Presse damit verdonnert wird, die Objekte ihrer Berichterstattung zu zensieren, bevor Leser (Wähler) davon erfahren können, bricht eine neue Zeit an. In der taz werden die Worte der Regierungspartei dann nicht mehr zu lesen sein. Oder glauben Sie etwa im Ernst, daß die Aussage „Berlin tut gut“ einer gerichtlichen überprüfung standhielte? P.S. Die Autorin dieses Berichts gehört zu den Mitangeklagen, mithin ist dieser Artikel als grober Rückfall in den Betroffenenjournalismus frühester taz–Tage zu lesen. Fotos: Obere Reihe: Ullstein–Archiv / Untere Reihe: J. Junker, R. Rieth und M. Hughes