Palm–Dienstag in Cannes

■ Zur Preisverteilung auf den Filmfestspielen in Cannes

Einen Tag vor der offiziellen Preisverleihung haben Filmkritiker in Cannes den „Goldenen Wecker“ vergeben. Unter den prämierten Titeln (die höchste Zahl der Schläfer vor der Leinwand gewann) war auch Maurice Pialats „Unter der Sonne Satans“. Offensichtlich ein nicht nur langsamer, sondern vor allem langweiliger Film. Daß er zusätzlich die „Goldene Palme“ bekam, hat er vor allem dem Jury–Vorsitzenden Yves Montand zu verdanken: Der Preisträger mußte nach 21 Jahren mal wieder ein Franzose sein. Was einmal mehr beweist, daß die Preisvergabe auf Filmfestivals nichts mit Kino, aber viel mit Politik zu tun hat. Gewürdigt werden mußte wieder Glasnost, doch weil Panfilov in Berlin bereits den Goldenen Bären bekam, genügte für den Russen Abuladze der Jury–Spezialpreis. Wenders konnte mit dem Preis für die beste Regie zufrieden sein, denn sein „Paris, Texas“ bekam erst vor drei Jahren die Palme. Also durfte die Jury getrost dem Patriotismus frönen, allen Protesten zum Trotz. Noch eine weitere Erklärung bietet sich an. Bereits im letzten Jahr hatten drei frömmelnde Filme die Hauptgewinne gezogen. Pialats Werk ist ein bedeutungsschwangerer Problemfilm über den Verfall von Sitte und Moral. Eine Palme also für die Kirche, und das, obwohl Sex und Crime auf Festivals wie diesem beleibe nicht nur auf der Leinwand stattfinden. Schlechtes Gewissen? Wie wärs, wenn die Franzosen Cannes nach Lourdes verlegten? Christiane Peitz