„Das wäre zwar Idiotie, aber ein Konzept“

■ Die größte Freude an den Grünen haben derzeit die Journalisten / Auch die taz–Korrespondenten waren hingerissen von der Grünen–Fraktionssitzung, bei der Schuldige gesucht wurden für jüngste Niederlagen - zwischen Trauer und Amüsement

Von U. Sieber und B. Müllender

Bonn (taz) - Über ständig wachsende Beliebtheit freut sich derzeit die grüne Fraktion im Bundestag: zwar nicht bei den schwindenden Wählerschaften, dafür um so mehr in der Bonner Presselandschaft. Denn bei der großen Streitkoalition von Fundis, Realos, Ökosozialos, Koalas, Mittos und Mittas ist immer was los. Auch am Dienstagabend bei ihrer Sitzung, nur zwei Tage, nachdem die Hamburger GAL diese siebenprozentige Niederlage errungen hat. Hin und her gingen die stereotypen Schuldzuweisungen: Helmut Lippelt, Realo aus Niedersachsen, hatte einfach genug von den ewigen „Grüne streiten sich– Schlagzeilen“. Darum möchte er „in diesen Stagnationsstunden der GAL“ von „der Führungscrew Trampert/Ebermann/Schmidt politische Verantwortung“ sehen. Daß „Köpfe rollen müßten“, meinte er natürlich nicht, sprach es aber aus, und gab damit neuen Schlagzeilenstoff. Thomas Ebermann fand die Kleineres–Übel– Wähler zum Kotzen. Ein gewisses „Milieu“ habe von der GAL nur noch „Ankoppelung an die SPD“ gewollt, sagte er, und dann legte er gegen die Realos los. „Ein Sperrfeuer“ gegen die „Linken“ hätten die eröffnet, und gegen „Kronzeugen aus den eigenen Reihen“ sei es „eben schwer, eigene Reformkonzeptionen zu vermitteln“. Christian Schmidt forderte immerhin „ein Mindestmaß an Solidarität auch in schweren Zeiten“. Kreuz und quer Jetzt richteten die Seitbänkler wieder die Blicke nach vorn, weil dort die großen Vorsitzenden vom anderen Flügel weiterredeten. Hubsi Kleinert gab dem „Langen“ aus Hamburg ein bißchen recht: Zwar nehme der Druck auf die Grünen zu, aber daß in Hamburg ein SPD–Bürgermeister „ohne Legitimationsprobleme eine sozialliberale Koaltion eingehen kann“ - das habe eben seine GAL „verbrochen“. Otto Schily ist gegen die „Gezeitentheorie“ von Ebbe und Flut: mal weniger, mal mehr Stimmen. Waltraud Schoppe erläuterte, daß sie in einer schwarzen Gegend mit sieben Prozent Grün–Wählern wohnt, und wendete sich gegen „Bassumer Verhältnisse in Hamburg“: Die GAL sei „eine Verweigerungspartei“, weil sie in Hamburg „nicht eingegriffen“ habe, und das sei eben der „Denkzettel“. So ging es kreuz und quer, wobei manchmal die bange Frage im Raum stand, ob nicht mancher Anti–GALer in Hamburg vielleicht selbst bei der SPD gekreuzelt hätte. Endlich versuchte Alfred Mechtersheimer sein Glück, obwohl er treffend konstatierte, „daß wir leider schon sehr festgelegt sind“: Man solle nicht so dramatisieren. Wenn die Grünen inhaltliche Er folge erzielten, seien sie erstmal nicht mehr so gefragt. Die Kronzeugen aus den eigenen Reihen gebe es tatsächlich, und die, die „auf die Fundis so einhauen“, sollten sich mal überlegen, ob man in den Kreisverbänden mit ihrem Rausschmiß beginnen sollte! Das, so meinte er, „wäre zwar Idiotie, aber ein Konzept“. A la Jesus Die Presse leckt in diesen Wunden der Selbstzerfleischung natürlich nur zu gerne herum: Zwei Spiegler waren da, diese Experten in Sachen Realhäme, um den Stoff zu sammeln, aus dem sie solche Fundi–Hetzschriften basteln wie jene untergürtelige Ditfurth–Titelstory vor zehn Tagen. dpa blieb noch weitgehend sachlich und sprach von „gegenseitigen Beschuldigungen und Selbstkritik“. Diethard Goos, ein Mann von Welt, holte in seinem Blatt schon gestern voll aus und sprach von der „nackten Zukunftsangst“, die bei den verhaßten Grünen „grassiert“. Otto Schily habe doch glatt „die Beherrschung verloren“, was zumindest Übertreibung, wenn nicht gezielte Lüge war. Gegen Ende, als es vor lauter Diskussionslust mal wieder später geworden war als geplant, versuchte Trude Unruh das Realo–Fundi– Raster zu verlassen. Mit bebender Pantherstimme attestierte sie jedem einzelnen der Ihren „Profilierungssüchte a la Jesus“, weil „sich jeder von euch so wichtig nimmt. Überlegt mal, wie tief ihr gesunken seid. Eigentlich seid ihr doch alle gut, ihr müßt nur endlich wieder Krallen zeigen“ - den anderen, nicht gegenseitig. Worte, die nachdenklich stimmten, reihum, zumindest für einen Moment, flügelunabhängig. Thomas Ebermann versuchte, mit noch traurigerer Stimme als üblich, die gerade aufkeimende Solidarität zu testen und bat „nach der sehr schroffen Abrechnung“ mit ihm um das Sonderrecht eines zweiten Redebeitrages. Sofort kamen wieder Eifersüchteleien hoch: „Dann ich aber auch... .“ Diskussion, Abstimmung, zehn waren dafür, neun dagegen zählte Sitzungsleiterin Waltraud Schoppe, und fand ihre eigene Hand: zehn beide - abgelehnt. Ebermann verließ die Fraktionssitzung stinkesauer. Doch damit nicht genug: In gelungener Dramaturgie trug Kleinert eine andere Bitte vor - eine vom SPD–Präsidium. Die Grünen mögen doch auf ihre Aktuelle Stunde zur Zimmermannschen Friedenssportler–Schnüffelei verzichten, damit die Aktuelle Stunde der Genossen über die Raketen noch in dieser Woche ins Parlament käme. Obwohl die SPD, so Kleinert, sich selbst in solchen Fällen immer „wenig kulant“ gezeigt habe, müsse man aufpassen, daß „die Sozis uns nicht in der Öffentlichkeit in politische Bedrängnis bringen“. Denn gefährlich leicht könnte es heißen: „Die Grünen verhindern, daß die Regierung zur Doppel–Null gestellt wird“. Gesagt, getan. Zur Imagewahrung wurde der SPD–Bitte mit großer Mehrheit entsprochen. Fazit: Mit der Oppositions–Konkurrenz können sich die Bonner Grünen derzeit problemlos arrangieren, nur mit sich selbst, da läuft nichts. Und die politischen wie publizistischen Gegner dürfen sich weiterfreuen.