Alternativ–Werkhof genießt „politische Hilfe“ der Stadt

■ In Karlsruhe wurde ein Mammut–Projekt für 23 Szene–Betriebe eingeweiht / Diverse städtische Töpfe ließen sich dafür anzapfen / Ärger gab es allerdings mit dem Bürgermeister beim Engagement gegen die Volkszählung / Einige haben Angst, daß durch den „Gewerbehof“ das revolutionäre Potential geschwächt wird

Von Rolf Gramm

Karlsruhe (taz) - Auch die „Residenz des Rechts“, Karlsruhe, hat nun eine alternative Residenz. Am vergangenen Wochenende wurde in der Karlsruher Steinstraße mit einer offiziellen Feierstunde der „Gewerbehof“ eingeweiht. In dem Gebäude mit einer Gesamtfläche von 3.300 qm, einer ehemaligen Kunstdruckerei, werden künftig insgesamt 23 selbstverwaltete Betriebe und Initiativen ihren Tätigkeiten nachgehen. Neben handwerklichen Kleinbetrieben und Geschäften wird der „Gewerbehof“ soziale und kulturelle Projekte, eine Kindertagesstätte und ein Cafe sowie politische Initiativen wie Greenpeace und die alternative Stadtzeitung Gegendruck beherbergen. Für insgesamt 46 hauptberuflich Beschäftigte wird das neue Zentrum Arbeitsstätte sein. Etwa 20 dieser Arbeitsplätze wurden mit der Entstehung des Gewerbehofs neu geschaffen. Aber nicht einfach die Schaffung von Arbeitsplätzen ist das Ziel, das sich die Betreiber mit dem „Gewerbehof“ gesetzt haben. Wichtig ist ihnen vor allem, daß hier anders gearbeitet werden soll. Aufnahmebedingung für jeden Betrieb ist, daß er in Selbstverwaltung geführt wird. Alle Mitglieder der einzelnen Betriebe müssen gleiche Löhne erhalten, alle die gleichen Rechte haben, die Arbeitsbedingungen werden selbst festgelegt. Die Arbeitsteilung soll in Grenzen gehalten werden, um den ganzheitlichen Charakter der Arbeiten zu erhalten, schonender Umgang mit Energie und Material ist angesagt. Wie diese Vorgaben konkret umgesetzt werden, wie hoch also der Lohn festgesetzt, wie und was gearbeitet wird, legt jede Initiative eigenständig fest. Für den Fall, daß es zu Streitigkeiten zwischen den im Zentrum vertretenen Gruppen kommt, haben die Initiatoren untereinander Schiedsverträge geschlossen. Ein Schiedsgericht, „das sich aus Leuten unserer Lebensvorstellung und unserer Lebenszusammenhänge zusammensetzt“, entscheidet dann auch zivilrechtlich bindend. Ansonsten werden alle Entscheidungen nach dem Konsensprinzip getroffen, damit jedes Mitglied des „Werkhofs“ alle Entscheidungen mittra gen kann. Wer einen wichtigen Entschluß nicht mittragen kann, hat ein Vetorecht. „Diese Strukturen machen einen Haufen Arbeit, aber auch eine Menge Spaß“, erklärt Nik Toussaint vom „Freiraum e.V.“, zu dem sich die Werkhof–Projekte als Trägerverein zusammengeschlossen haben. Und schließlich ist es auch der politische Anspruch der Initiative, durch seinen Vorbildcharakter andere anzuregen, „ihre Situation in Eigeninitiative zu verändern“. „Indem wir uns gegenseitig unterstützen und auf vielen Ebenen zusammenarbeiten, wollen wir beweisen, daß es möglich ist, anders zu leben und zu arbeiten“, meint Nik Toussaint, „und der Werkhof bietet uns den Rahmen um die heute meist getrennten Lebensbereiche Arbeit, Soziales und Kultur zu verbinden.“ „Verglichen mit ähnlichen Ansätzen in anderen Städten, etwa dem Berliner Mehringhof, ist das ein echt baden–württembergisches Projekt“, meint Irene Reifenhäuser vom Ingenieur– und Beratungsbüro „Ibek“, das die Verhandlungen mit der Stadt geführt hat. „Wir haben von der durch eine CDU/FDP–Mehrheit getragenen Karlsruher Stadtverwaltung und vom Land wirklich großzügige Unterstützung erhalten.“ Nicht als Zusammenschluß von Arbeit nehmern, sondern als Unternehmenszusammenschluß habe man das „Werkhof“–Projekt offensichtlich betrachtet. „Und in Baden–Württemberg bist du halt jemand als Unternehmer, auch als selbstverwalteter.“ „Staatsknete“ abgezockt In der Tat ist es recht beeindruckend, was der „Werkhof“ alles „an Staatsknete abzocken“ konnte: 250.000DM vom städtischen Wirtschaftsförderungsamt, 400.000DM vom Jugendamt, Personalzuschüsse von Arbeitsamt und Regierungspräsidium, 100.000DM vom Denkmalamt, einen günstigen Erbpachtvertrag über das Gelände und ein mit 900.000DM günstiger Preis für die Gebäude, der über einen Zeitraum von 21 Jahren abbezahlt werden muß. Einige dieser Förderungen hätte zwar auch jeder andere Betrieb bekommen, aber einen Teil, so Irene Reifenhäuser, „kann man schon als politische Unterstützung werten“. Daß man am Eingang zum „Werkhof“ die an die Wand gesprühte Parole „ibek fuck off“ lesen kann, weist darauf hin, daß die Entstehung der Alternativresidenz nicht ohne interne Auseinandersetzungen vor sich gegangen ist. „Im KOZ, dem Kommunikationszentrum, gibt es eine Fraktion, die meint, daß unsere Selbstverwaltungsansätze das revolutionäre Potential schwächen und gesellschaftserhaltend wirken“, erklärt Irene Reifenhäuser. Abgesprungen aber sind einige anfangs vertretene Projekte aus anderen Gründen: Denen wurde das Projekt zu groß, dauerte zu lang bis zur Realisierung oder sie waren nicht einverstanden mit der konkreten Ausgestaltung, die das Selbstverwaltungsmodell annahm. Die verbliebenen und die neu hinzugekommenen Werkhof– GenossInnen jedenfalls strahlten bei der Einweihung einigen Gründer–Optimismus aus. Zufrieden haben sie registriert, daß ihr Projekt bereits nach außen wirkt: Aus Aachen und Duisburg kamen schon Anfragen von ähnlichen Initiativen. Und stolz sind sie offensichtlich auch, daß bei der Einweihungsfeier der Dekan der Karlsruher wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, Prof. Dr. Stehling, eine Laudatio auf die Bedeutung der Selbstverwaltungswirtschaft hält, in der er seiner Wissenschaftsdisziplin bescheinigt, sich nicht genügend die Wichtigkeit dieses Sektors klargemacht zu haben. Aber wie sich das für einen Alternativbetrieb gehört, gab es pünktlich zur Einweihung auch einen kleinen Eklat. Weil nämlich die im Gewerbehof vertretene Druckkooperative in einem Flugblatt als Kontakt für Boykotteure der Arbeitsstättenzählung angegeben war, boykottierte der Karlsruher Oberbürgermeister Gerhard Seiler die Eröffnungsfeier. „Tief enttäuscht“, „provoziert und brüskiert“, so ließ der OB die Projektmitglieder wissen, fühle er sich, daß vom Gewerbehof, für den er sich so engagiert und sein „persönliches Gewicht in die Waagschale geworfen“ hatte, nun Initiativen ausgehen, „die mit Strafen bedroht sind“, und daß gar „vom Gewerbehof aus zu strafbaren Handlungen aufgerufen“ werde.