Methadon ist kein „billiger“ Weg

■ Methadon–Vergabe an Drogensüchtige galt zehn Jahre lang als falscher Weg zum Ausstieg / Eine Veranstaltung in Hamburg zeigt: Frühere Methadon–Programme haben für die Teilnehmer überraschende Erfolge gebracht / Gesellschaftliches Klima entscheidend

von Irene Stratenwerth

Hamburg (taz)– AIDS ist der traurige Anlaß, der die in der deutschen Drogenpolitik lange tabuisierte Diskussion wieder gesellschaftsfähig gemacht hat: Die Frage, ob die Vergabe von Ersatzdrogen (insbesondere Methadon, in der BRD als „Polamidon“ auf dem Markt) an Drogenabhängige ein Mittel sein kann, um die Not der Betroffenenen zu lindern und langfristig einen Ausstieg aus der Sucht zu ermöglichen. Mehr denn je sieht sich eine Drogenarbeit, die sich ausschließlich am Ziel der „Totalabstinenz“ orientiert, in Frage gestellt. Daß sie in den letzten Jahren nur wenige Abhängige erreichten, ist in der Fachöffentlichkeit unbestritten. In Hamburg hatten am Mittwoch der Gesundheitsladen, die „Ärzteopposition“ und Mitarbeiter einer Übernachtungsstätte für Drogenabhängige zu einer Diskussion geladen; Drogenberater,Ärzte und Betroffene aus Hamburg, Hannover, Bremen, München und Amsterdam berichteten über ihre Erfahrungen. Insbesondere der Hannoveraner Bericht machte deutlich, wie wenig die Methadon–Frage auf eine „Fachdiskussion“ über Erfolgsziffern und Statistiken reduziert werden kann. Christa Krach und Hartmut Peschke hatten dort Anfang der siebziger Jahre einen frühen Versuch mit einem Methadonprogramm durchgeführt und 1974 entmutigt abgebrochen. Zwar war es allen elf Teilnehmern gelungen, eine Arbeit oder Ausbildung aufzunehmen und ihre soziale Lage entscheidend zu verbessern, aber auch nach 20 Monaten wollte keiner auf die Methadon–Einnahme verzichten. Ausgerichtet am Ziel der Drogenabstinenz und daran, daß diese nur zu erreichen sei, wenn die Betroffenen unter maximalen Leidensdruck stehen, werteten die Dro genberater die Stabilisierung der Teilnehmer schließlich sogar als Mißerfolg. Ihr Abschlußbericht wurde zehn Jahre lang insbesondere von Staatsvertretern als Beweis für die Untauglichkeit solcher Programme verwendet. Dann aber haben sich Christa Krach und Hartmut Peschke die Mühe gemacht, mit den elf Teilnehmern noch einmal ausführliche Gespräche zu führen. Zu ihrer Überraschung waren alle noch am Leben, seit durchschnittlich sieben bis acht Jahren clean und in reputierlichen Berufen tätig. Alle Teilnehmer betonten, daß die „Phase der Ruhe“ durch das Methadonprogramm und die Befreiung vom Beschaffungsstreß den Grundstein zu einem teilweise gewundenen Weg in die Drogenfreiheit gelegt hatten. Zwar hat sich das gesellschaftliche Klima für Aussteiger in der Bundesrepublik gewandelt. Auch Franz Wimmer, Drogenberater aus Amsterdam, betonte, daß Methadonvergabe nur dort sinnvoll sei, wo vielfältige andere Hilfsangebote zur Verfügung stehen. In Amsterdam wird Methadon inzwischen großflächig verteilt - vom Methadon–Bus über Stadtteilambulanzen bis zum „aufsuchenden Hilfsangebot“. Ausgenommen sind illegale Ausländer, insbesondere Deutsche, die man über das Methadonprogramm nicht weiter nach Amsterdam locken will. Gleichzeitig wird den Drogenabhängigen mit Wohnungen und Sozialhilfe eine Existenzgrundlage geschaffen, verschiedenste Formen von Beratung und Therapie stehen zur Verfügung. Mit diesem System steht man in Kontakt zu 5.000 bis 7.000 Amsterdamer Abhängigen; die absoluten Zahlen sinken, das Durchschnittsalter steigt. Und die Langzeittherapien, die mit absoluter Abstinenz arbeiten, haben ihre Klientelzahl seit Beginn der Methadonprogramme verdreifacht. Wichtig ist für Amsterdam, daß Drogenkonsum in den Niederlanden faktisch nicht bestraft wird, und die Methadon–Vergabestellen Daten über ihre Konsumenten speichern können (um Doppelvergaben zu verhindern), ohne sie zu gefährden. Ein Kollege und Mitarbeiter des vor kurzem in München in die Psychiatrie eingewiesenen Dr. Kapuste (vgl. taz vom 12.5.) berichtete dagegen, daß dessen Patienten inzwischen mit der Angst leben müssen, als vom Bundesgesundheitsamt registrierte Polamidon–Konsumenten leicht greifbare Opfer des bayerischen AIDS–Maßnahmenkataloges zu werden. Methadonprogramme, die ausschließlich dem Zweck dienen sollen, HIV–Infizierte möglichst kostengünstig aus dem Verkehr zu ziehen, sind deshalb auch zum Scheitern verurteilt. Das machten vor allem die anwesenden Betroffenen und ehemaligen Teilnehmer des Hannover–Modells deutlich. Nur wenn Staat und Gesellschaft sich entschließen könnten, Süchtige nicht zu bestrafen, sondern ihnen die Mittel, die Zeit und die freie Entscheidung zum Ausstieg aus der Sucht zu überlassen, könne Methadon ein wichtiges Hilfsmittel auf diesem Weg sein - und auch den weiterhin Süchtigen zu einem humaneren Leben verhelfen.