Serie Bauern und EG (4)
: Wem hilft Nahrungshilfe?

■ Entwicklungspolitisch krimineller Versuch, EG–Überschüsse abzubauen / "NRO–Netzwerk" Bad Boll startet Kampagne gegen "Hilfe"

Böse Worte erntete Hoimar von Ditfurth vor gut zwei Jahren, als er im Zusammenhang mit dem „Tag für Afrika“ - auf dem Höhepunkt der Dürrekatastrophe - forderte, die Industrieländer mögen doch keine Nahrungsmittel mehr bereitstellen, vielmehr die Hungernden sich selbst überlassen, sonst verlagere man die Problematik „zu viele Menschen - zu wenig Nahrung“ nur in die Zukunft. Wenn auch in sich nicht völlig unlogisch, offenbart der Vorschlag doch zweifelsfrei so große Menschenverachtung, daß ihn mit Sicherheit niemand zur Kenntnis genommen hätte, wäre er nicht aus der Feder eines prominenten Publizisten geflossen. Die privaten Organisationen in der bundesdeutschen Entwicklungshilfe werden auf der Hut sein müssen, wegen ihrer neuen Kampagne von der Öffentlichkeit nicht mit dem Populärwissenschaftler in ein Regal gesteckt zu werden: Sie nehmen jetzt massiv die Nahrungsmittelhilfe aufs Korn. Das „NRO–Netzwerk“, als bislang lockere Kooperation der bundesdeutschen „Nichtregierungs– Organisationen“ vergangenes Jahr in der evangelischen Akademie Bad Boll ins Leben gerufen, erkor die Abschaffung der Nahrungshilfe gar zu ihrem ersten Tätigkeitsfeld; einzige Ausnahme: In tatsächlichen Katastrophenfällen soll sie weiterlaufen. Ansonsten richte die Hilfe sozial wie wirtschaftlich weitaus mehr Schaden als Nutzen an. Nach einer Tagung in Bad Boll am vergangenen Wochenende erhoben die NROs entsprechende Forderungen an EG und Bundesregierung. Brisant wird das ganze für Bonn nicht zuletzt deshalb, weil die zuständigen Ressorts in dieser Frage zerstritten sind. Tony Jackson von der britischen Umwelt– und Entwicklungsorganisation „Oxfam“ hat sicher recht, wenn er meint, der vielzitierte Mann auf der Straße gehe davon aus, „Nahrungshilfe ist dafür da, Nahrungsmittel den Hungernden zu verschaffen“. In der breiten Öffentlichkeit ist viel zu wenig bekannt, daß von den weltweit 12 Millionen Tonnen Hilfslieferungen höchstens 20 Prozent direkt oder indirekt für tatsächlich Hungernde bestimmt ist. Der Löwenanteil wird entweder stark verbilligt oder völlig gratis den Regierungen der Dritten Welt zur Verfügung überlassen. Allein an Getreide stellten die Industrieländer im Rahmen der „Food Aid Convention“ vergangenes Jahr 7,6 Millionen Tonnen bereit. 1,67 Mio. Tonnen brachte die EG auf. Es muß die Nahrungsmittelhilfe dabei noch nicht diskreditieren, wenn das angesehene Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im April in einer Untersuchung festgestellt hat, daß die Motivation für die subventionierten Lieferungen im Abbau der EG–Getreide– und Rindfleischberge sowie Milchseen liege und nicht im entwicklungspolitischen Bereich: Bei Getreide, Magermilchpulver und Butteröl sind nach Ermittlungen des DIW die Lagerhaltungskosten höher als die entsprechenden Kosten der Nahrungsmittelhilfe. Der überwiegende Teil der Hilfslieferungen wird den entsprechenden Regierungen überlassen, die damit ganz einfach machen können, was sie wollen. Ob sie sie im Land weiterverkaufen oder an solche Gruppen der Gesellschaft billig weiterleiten, deren Loyalität ihnen teuer ist, bleibt gleichgültig. Sie sparen dabei auf jeden Fall die Kosten eines Einkaufs zu Weltmarktpreisen. Es handelt sich also schlicht um Budgethilfen mit entsprechendem entwicklungspolitischen Tiefgang. Budgethilfen Tony Jackson zählt die Zielpersonen auf, die von den „wohltätigen“ Regierungen mit Zuwendungen bedacht werden: Militärs, Lehrer, Sozialarbeiter und übrige Schlüsselbereiche der städtischen Mittelklasse. Um bei kostenloser oder verbilligter Verteilung anspruchsberechtigt zu sein, muß in der Regel ein fester Wohnsitz nachgewiesen werden, womit die ärmsten der Armen von vornherein außen vor bleiben. Aber auch wenn Kinder die Adressaten sind, was zu Hungerszeiten hiesige Herzen besonders rührt, sind Zweifel angebracht. Städtische Schulspeisungen treffen diejenigen, deren Eltern es sich leisten können, ihre Kinder auf die Schule zu schicken. Und selbst die Mutter–Kind–Speisungen, in deren Genuß weltweit jährlich 15 Millionen Menschen kommen, ändern nach Ansicht Jacksons nichts an deren Ernährungssituation: Hunger folgt der Armut, und das bedeutet, daß die Hungernden entsprechend der „zusätzlichen“ Ration, die ihnen im Krankenhaus zuteil wird, daheim am Essen sparen. All das wäre zu verkraften, wenn dieser geringfügige Abbau der EG–Überschüsse ansonsten folgenlos bliebe. Den Anspruch, daß die Nahrungsmittelhilfe entwicklungspolitisch sinnvoll wäre, erhebt ernsthaft schon gar keiner mehr, obwohl es in die Berechnungen der Gesamtleistungen eingeht (etwa wie weit wir vom Ziel entfernt sind, 0,7 Prozent des Brutt muß noch nicht einmal auf die treuherzigen Erklärungen US– amerikanischer Politiker von 1954 zurückgegriffen werden, als mit dem berühmt–berüchtigten „Gesetz Nr. 48“ die US–Nahrungsmittelhilfe begründet wurde. „Food for Peace“ war der Anspruch und unverhohlen wurde ausgesprochen, daß eine Abhängigkeit ganzer Länder von Nahrungsmittel–Lieferungen effektiver sei als die dauerhafte Unterdrückung mit Waffengewalt. Der Hinweis darauf, daß die USA alles mindestens genauso treiben, war denn auch unterm Strich das einzige, was den Vertretern des Bundeslandwirtschaftsministeriums und des Bauernverbandes während der Tagung in Bad Boll zur Rechtfertigung des entwicklungspolitischen Unfugs über die Lippen kam. Mehr war nicht drin, die Zahlen sprechen für sich. Als die USA nach dem Putsch im Sudan die neuen Machthaber von Libyen fernhalten wollten, sagte man in guter „Food for Peace“–Manier große Lieferungen an Hirse zu - scheinbar das beste fürs Land. Der Hirsepreis pro Sack (90 kg) stieg zwischen Anfang und Mitte 1985 von 100 auf 230 Sudan–Pfund. In den Problemregionen war die Hirse ausgegangen. Selbst die Bauern mußten für Saatgut ihre teuren Tiere verschleudern. Als dieses Saatgut schließlich Ende des Jahres Früchte trug, war der Hirsepreis dank inzwischen eingetroffener großzügiger US–Hilfe auf 6 Sudan–Pfund gefallen. Allenthalben noch tiefere Verschuldung bei den Bauern war die Folge. Und keiner war in der kommenden Pflanzperiode willens oder in der Lage, seinem Geschäft nachzugehen, was die von außen gestützte Regierung nicht unbedingt bekümmern mußte nach dem Motto: „Hungern die Städter, gibts Revolution, hungern die Bauern, gibts nur Tote.“ Entsetzter Warnke Nach der schlimmen Dürrekatastrophe 1984/85 konnten mehrere afrikanische Länder Rekordernten (v.a. Malawi und Zimbabwe) erzielen, während nebenan weiter gehungert wurde. Die rentable Vermarktung der Überschüsse erwies sich indes als schwierig angesichts der konkurrierenden, stark subventionierten Dumpingware aus Europa und den USA. Selbst Ex–Entwicklungsminister Warnke, dessen Herz bisweilen stärker für den bundesdeutschen Export denn für entwicklungspolitische Belange schlug, soll Überlieferungen zufolge bei einem Besuch in der Elfenbeinküste entsetzt gewesen sein: Örtliche Rinderzuchtprojekte der bundeseigenen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) liefen schlicht ins Leere, weil der regionale Markt mit Rinderhälften und -konserven aus EG–Beständen verstopft war - Hilfe gegen Selbsthilfe. Fortan kämpfte Warnke in Gemeinschaft mit dem Bundestagsausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (AWZ) für eine Revision der EG–Nahrungsmittel– hilfe. Überschüsse sollten nicht mehr aus EG–Beständen, sondern im Zuge von „Dreiecksgeschäften“ in der Region, etwa in Malawi oder Zimbabwe erstanden werden. Die Food–Aid–Konvention solle ihre Bestimmungen ändern. Indes, die Federführung in diesen Fragen liegt bei Landwirtschaftsminister Kiechle samt dazugehörigem Ausschuß, und Kiechle beschloß mit seinen Brüsseler Kollegen, daß die umstrittene Passage nach wie vor heißt: „Die Erzeugnisse werden in der Regel auf dem Markt der Gemeinschaft bereitgestellt“, und an anderer Stelle, damits auch klar ist: Der „Grundsatz der Bereitstellung auf dem Gemeinschaftsmarkt“ dürfe „nicht in Frage“ gestellt werden. Der AWZ geriet darob mit dem Landwirtschaftsbereich in geharnischten Briefwechsel. Bisheriger Höhepunkt: Die Einrichtung eines Unterausschusses der Agrarpolitiker für „Weltlandwirtschaft und Welternährung“, mit dem man die ganze Gewalt darüber und die weitere Verwertung der EG–Überschüsse sichern will. Der AWZ will diesem neuen Konkurrenzgebilde die Kompetenz in der Frage absprechen, und die Grünen rückten ihm derweil mit einem Antrag ans Plenum zu Leibe, den Unterausschuß insgesamt gleich wieder abzuschaffen. Wichtig bleibt bei aller Erkenntnis über die unsinnige Nahrungshilfe jedoch, nicht aus den Augen zu verlieren, daß die EG diejenigen Entwicklungsländer, die Agrarexporte erzielen könnten, durch ihre stark verbilligten Exporte auf Drittmärkten am meisten bedrängen. Die Philippinen hat man als traditionelles Zuckerexportland bereits in die Knie gekriegt.