: Keine Feier für die Sieger in Manila
■ Philippinen: Verspätungen bei der Auszählung und Wahlanfechtungen von rechts und links verhindern die für Freitag erwartete Proklamation der Gewinner / Protestaktionen reißen nicht ab / Feiern abgesagt, um frustrierte Opposition nicht zu reizen
Aus Manila Gerhard Körte
Während im Malacanag–Palast die ersten Glückwunschschreiben von Staatsoberhäuptern und Botschaftern eintreffen, will an der heimischen Wahlfront zum Mißfallen der Gewinner auf fast 14 Tage nach dem Urnengang vom 11. Mai partout keine Ruhe einkehren. Die Freude ist verhalten, Fraktionierungen zeichnen sich ab und rauschende Feten werden abgesagt, um die frustrierte, weit weit unterlegene Opposition nicht zusätzlich zu reizen. Marcos–Parteigänger und die rechte Grand Alliance for Democracy (GAD) belagern das internationale Kongreßzentrum, wo die offizielle Stimmenzählung der staatlichen Wahlkommission Comelec nur langsam vorankommt, und versuchen, landesweit Massendemos zu organisieren. Die Linke hat zwar ein Angebot Enriles, alle Oppositionskräfte zu vereinigen, strikt abgelehnt; auf Bezirksebene arbeiten Kandidaten der legalen Linkspartei Partido Ng Bayan (PND) jedoch mit unterlegenen Bewerbern anderer politischer Richtungen zusammen, um gemeinsam Manipulationen aufzudecken und die Ausschreibung von Neuwahlen zu erzwingen. Die Comelec–Auswertung bestätigt im wesentlichen die Ergebnisse der Schnellzählung durch die „Bürgerbewegung für freie Wahlen“ (NANFREL), die ihre Arbeit zum Erstaunen vieler Beobachter nach der Auszählung von ca. 75 hat. Ein Vergleich der Ergebnisse beider Organisationen ist somit im Gegensatz zu früheren Urnengängen nicht möglich. Der einzige, aber bedeutsame Unterschied zwischen den Zählungen: Enrile, der Spitzenmann der Rechten, liegt bei Comelec nach Eingang von 65 auf Rang 21. Das würde für den Senat reichen und der GAD zwei Mandate bescheren. Selbst im Regierungslager hoffen viele, daß der gekränkte Ex–Verteidigungsminister den Sprung ins Oberhaus schafft und sich damit von unberechenbaren Politaktivisten in den „elder statesman“ zurückverwandelt, den er bereits während des Wahlkampfes in geschickter Verkaufsstrategie überzeugend gemimt hat. Der Version von den angeblich saubersten Wahlen aller Zeiten, die von Kritikern sofort bezweifelt wurde, hat inzwischen breiter Ernüchterung Platz gemacht. Auch Präsidentin Aquino gesteht Mängel und Betrügereien auf lokaler Ebene ein. Aus 170 von 200 Wahlbezirken für das Repräsentantenhaus sind Anfechtungsklagen eingegangen, die Kette der Morde und anderer Gewalttaten reißt nicht ab. Auf der Insel Sulu, wo die Wahlen ebenso wie in mehr als 500 anderen Wahlkreisen auf den 30. Mai verschoben wurden, erschossen am Montag bewaffnete Anhänger eines Kongreßkandidaten sechs Anhänger seines Mitbewerbers in ihrem Kleinbaus, in der Provinz Cotabato auf Mindanao wurde Tags darauf ein Bauernaktivist, der einen linken PNB– Mann unterstützt hatte, in seinem Haus zusammen mit seiner Frau und zweien seiner fünf Kinder mutmaßlich von Angehörigen der berüchtigten Zivilschutztruppe CHDF umgebracht. Am vergangenen Mittwoch entführten im Morgengrauen 20 Männer mitten in Manila einen weiteren PNB–Wählkämpfer, seine Frau und einen 19jährigen Verwandten. Sie wurden vor den Augen der entsetzten Kinder aus dem Haus gezerrt, mit Gewehrkolben geschlagen und in bereitstehende Autos abtransportiert und nicht mehr gesehen. Auch siegreiche Verwandte der Präsidentin sind in Manipulationsverdacht geraten. Besonders pikant ist, daß sich Schwägerin Tessie Aquino–Oreta und Onkel Francisco mit einer Phalanx von Gegenspielern herumschlagen müssen, der neben Oppositionskandidaten auch Bewerber der Regierungsparteien angehören. Die unverfrorene Anordnung des Ministers für Lokalregierung an alle Bürgermeister, den regierungsnahen Kandidaten zum Sieg zu verhelfen, hat wesentlich zur Zunahme der Unregelmäßigkeiten beigetragen. Exemplarisch ist das Verhalten des Stadtobehauptes von Quezon City, einem der bevölkerungsreichsten Stadtteile Manilas. In einem offenen Brief, der am Mittwoch in mehreren Tageszeitungen veröffentlicht wurde, werfen ihm fünf Kandidaten aller politischen Richtungen Stimmenkauf im großen Stil, die Ablösung des Wahlbeamten in einer „Nacht– und Nebel–Aktion“ und die mißbräuchliche Benutzung von Dienstfahrzeugen im Wahlkampf vor. Seine Androhung, illegal errichtete Slumsiedlungen abzureißen und deren Bewohner zu vertreiben, falls sie nicht für seine Favouriten stimmten, muß hingegen als einmalige Sonderaktion eingestuft werden. Selbst die unabhängige, überparteiliche Wahlkommission Comelec ist ins Zwielicht geraten. Amtliche Unterlagen trafen in manchen Provinzen erst so spät ein, daß in 57 Städten Nordluzons und Mindanaos der Wahltermin verschoben werden mußte. Auf den in den Wahllokalen ausgehängten Kandidatenlisten waren einzelne Namen fehlerhaft verzeichnet. Wer entsprechend abschrieb, dessen Votum wurde nicht gewertet. Bewerber mit Künstlernamen und Frauen, die unter ihrem Mädchennamen bekannt sind, wurden benachteiligt. Kaum jemand kennt z.B. Margarita Bartolome, aber als Maita Gomez ist die Vorsitzende der Frauenpartei KAIBA weithin ein Begriff. Schlimmer noch traf es Augusto Sanchez, den von Aquino entlassenen linksliberalen Ex–Arbeitsminister. Obwohl ein Kandidat gleichen Namens, der nachweislich nur zur Stimmenabwerbung angetreten war, einen Monat vor dem Wahltag disqualifiziert wurde, war nur ein Teil der Wahlausschüsse darüber informiert. Sanchez–Stimmen wurden daher vielfach gesplittet, sein Einzug in den Senat ist noch nicht gesichert. Beobachter vermuten, daß Sanchez wegen seines kompromißlosen Eintretens für Arbeiterrechte in Ungnade gefallen ist. Auch Korruptionsvorwürfe werden geäußert. Druckereien, die den Zuschlag für die heiß umkämpften Aufträge zur Anfertigung der Wahlunterlagen erhielten, sollen satte Provisionen gezahlt haben.
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