Identitätsirrtum als Mittel der Politik

■ Grüne klagen gegen Fälschung / Bayerisches Innenministerium gibt Flugblatt zur Volkszählung mit Orginalschriftzug der Grünen heraus Die Fälschung wird von Zählern mit Erhebungsbogen verteilt / Zähler setzen auf Umschlag ihre Privatadresse ein

München (taz) - Seit Wochen verteilt das Bayerische Innenministerium an Landratsämter und Rathäuser ein Flugblatt mit dem Titel „Was wollen die Grünen wirklich“ und darüber den täuschend echten Orginal–Schriftzug mit der Sonnenblume der Grünen. Die bayerischen Grünen haben dagegen gestern einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung beim Landgericht München gestellt. Bereits Ende April forderte der Münchner Rechtsanwalt Jürgen Arnold das Innenministerium auf, das Flugblatt aus dem Verkehr zu ziehen und drohte mit rechtlichen Schritten, da ein Unterlassungsanspruch nach dem Kunsturhebergesetz gegeben sei. Um die Gerichte jedoch nicht unnötig zu belasten, machte der Anwalt zunächst einen Vorschlag zur Güte. Die Grünen wären bereit, von einer Klage abzusehen, wenn sie ebenfalls ein Flugblatt mit der Überschrift „Was will das Innenministerium wirklich“ und dem Originalbriefkopf des Innenministeriums zur Aufklärung über die wahren Hintergründe der Volkszählung und deren rechtliche Bedenklichkeit verbreiten könnten. Dagegen verwahrte sich das Innenministerium und erklärte, daß die Auflage des Flugblatts von einer Million bereits verteilt, ein weiterer Nachdruck jedoch nicht geplant sei. Innenminister Lang versicherte dem grünen Landtagsabgeordneten Bäumer persönlich, das Flugblatt werde nicht weiter ausgelegt und verbreitet. Im Gegensatz zu diesen Versicherungen tauchten jedoch kurz danach 6.000 Flugblätter in der Münchner Fachhochschule auf. Im Landkreis Donauries wird das Flugblatt zusammen mit den offiziellen Erhebungsbögen von den Volkszählern an die Haushalte verteilt. Rechtsanwalt Arnold bezeichnete diesen Vorgang, daß ein rechtswidriges Flugblatt zur Parteipolitik in einem Bereich wie der Volkszählung mißbraucht wird, als „etwas ganz Ungeheuerliches“. In seinem Antrag stützt er sich auf ein Urteil des Oberlandesgericht Karlsruhe vom September 79. Damals wurde dem Künstler Staeck das Signum der CDU auf einem seiner Plakate untersagt. Begründung: Der Identitätsirrtum werde beim politisch kundigen Leser zwar rasch beseitigt, zunächst aber als Mittel des politischen Kampfes verwendet. „Die Durchführung des Gesetzes strotzt nur so von Pannen“, berichtete gestern der grüne Rundfunkrat und Mitarbeiter des Landesverbands, Winfried Eckhard. So werde vielfach von den Zählern auf den Umschlag mit der Adresse der Erhebungsstelle ihre Privatadresse eingesetzt, um damit die „Kopf–Prämie“ zu erhalten. Als Zähler wurden u.a. Gemeinderäte, Zoll– und Finanzbeamte und sogar Mitarbeiter des Statistischen Landesamts eingesetzt. Auf diese Mißstände hat Rechtsanwalt Arnold den bayerischen Datenschutzbeauftragten Stollreither hingewiesen. Stollreither wurde jedoch erst vor einigen Tagen vom bayerischen Ministerrat entmachtet. Er bekommt nur Akteneinsicht, wenn er im Einzelfall die Notwendigkeit nachweisen kann. Ein Erfolg in Sachen Volkszählung wurde am vergangenen Dienstag vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erreicht. Das Gericht verwarf eine Beschwerde der Stadt München gegen einen Infostand zur Volkszählung mit Straßentheater. Anfang April wurde der Stand mit dem Transparent „Nur Schafe lassen sich zählen“ von der Polizei abgeräumt und das Straßentheater verboten. Die Gruppe meldete den Stand daraufhin nochmals an. Mit der Begründung das Verbot sei nicht verhältnismäßig, und Kritik, auch eindeutige, erfülle nicht den Tatbestand der vorsätzlichen Aufforderung zu Ordnungswidrigkeiten, hatte bereits Richter Lange von der 17. Kammer des Münchner Verwaltungsgerichts die Aktion für rechtmäßig erklärt. Dies gilt auch für das Transparent „Nur Schafe lassen sich zählen“, stellte das Gericht fest. Auch hier liege noch keine verbotene Aufforderung zu rechtswidrigen Handlungen vor, sondern vielmehr „eine eindeutige kritische Auffassung“. (Aktenzeichen M 17 S 87. 2974) lui