Die CDU auf dem Rückzug

Von „gewissen heilsamen Wirkungen“ hatte Ernst Albrecht noch gesprochen, als er 1984 vor dem Landtag erstmals über die Einführung von Studiengebühren an Niedersachsens Hochschulen sinnierte. Doch heute, knapp sechs Wochen nachdem die niedersächsischen Fraktionen von CDU und FDP eine Strafgeld von 500 DM pro Semester für sogenannte Langzeitenstudenten beschlossen haben, steht fest, daß Albrechts Therapeutikum ganz andere Wirkungen entfaltet hat, als sie der Ministerpräsident erwartete. Denn als der Dauerprotest der niedersächsischen Studenten gegen die Studiengebühren, die bei Studienzeit von mehr als drei Semstern über Bafög–Höchstförderungsdauer vorgesehen waren, ins Rollen kam, wurde am Ende selbst der hauseigene Studentenverein RCDS gegen den Ministerpräsidenten aufmüpfig und tat kund, daß durch die Gebühren „alle Studierenden am Lebensnerv getroffen werden“. Angesichts solch breiter Opposition konnte der niedersächsischen Wissenschaftsminister Horst–Tönjes Cassens seinen Stuhl nur noch dadurch retten, daß er seinen Staatssekretär Börner vor die Tür setzte. Zuvor hatten ihn selbst Landtagsabgeordnete der CDU und FDP massiv kritisiert: Bei Wissenschaftsminister Cassens fehle einfach ein Gesamtkonzept für die künftige Hochschulpolitik, hieß es bei den Freien Demokraten, und die CDU monierte, daß man nicht die Studenten dafür bluten lassen könne, nur weil dieser Minister die Studienreform verpennt habe. Zu die sem Zeitpunkt hatten selbst Koalitionspolitiker festgestellt, daß im Falle ihrer Strafgeldregelung fast alle Studenten der naturwissenschaftlichen Paukfächer, die ohnehin eine hohe durchschittliche Studiendauer haben, in den Genuß eines Bußgelds gekommen wären: Bei den Elektrotechnik–Studenten Hannovers beträgt die durchschnittliche Studiendauer z.B. 15,9 Semester. In diesem Fachbereich wären demnach 82 Absolventen unter die Srafgeldregelung gefallen. Alle sogenannten Studienreformbemühungen hatten auch in Niedersachsen nicht zu der propagierten „Entrümpelung der Studiengänge“ geführt. In den ohnehin verschulten Technik–Fächern, die die Studenten der Sozialwissenschaften heute die „harten“ nennen, war die Zahl der Pflichtveranstaltungen mit den neuen Prüfungsordnungen z.B. nur noch angestiegen. Inzwischen hat das Kabinett Albrecht auch das Thema Studienreform noch einmal diskutiert. Gleichzeitig wurde die Einführung der Strafgelder erst einmal auf das Sommersemester 1988 verschoben, und weitgehende Ausnahmeregelungen in besonderen Härtefällen und für ganze Fächer wie Maschinenbau, Elektrotechnik und Medizin wurden zugesichert. Mit dem Satz „Divide et Impera“ kommentierten die hannoverschen Sowi–Studenten diese Zugeständnisse der Regierung. Sie fürchten, daß sich jetzt die technischen Fachbereiche wieder beruhigen und am Ende allein die linken geisteswissenschaftlichen Fachbereiche auf den Strafgeldern hängenbleiben. Doch wenn es in Göttingen am Dienstag tatsächlich zu der bisher größten Studentendemonstration kommt, dann dürfte auch Ernst Albrecht mürbe werden. Schließlich hat der Ministerpräsident mit seiner Erklärung, am Dienstag mit dem linken Göttiger AStA ein Gespräch führen zu wollen, Leuten „Friedensverhandlungen“ angeboten, für die er ansonsten nur Berufsverbote übrig hat. Noch wartet man in Göttingen auf das Gesprächsangebot des Landesvaters.