Das Nadelöhr zur US–Staatsbürgerschaft

■ Seit zwei Wochen können illegale Einwanderer in den USA im Rahmen eines Amnestieprogramms ihre Einbürgerung beantragen / Kirchliche Beratungsstellen wie das „Casa Miguel“ helfen beim mühseligen Marsch durch die Institutionen

Aus Washington Stefan Schaaf

„Ich habe nicht genau gewußt, was mich hier erwartet“, sagt Jay, als er sich in das Sofa in der Eingangshalle des „Casa Miguel“ fallen läßt. Er rührt in seinem Kaffee und wartet auf meine Fragen. Nein, er berate keine Illegalen, er sei nur ein Schulpraktikant und mache hauptsächlich Telefondienst. Durch die geschlossene Tür zum Nebenraum sind Fetzen einer solchen Beratung zu vernehmen. Eleanor Baldwin ist damit beschäftigt, einem Besucher die Bestimmungen des neuen US–Einwanderergesetzes zu erläutern, durch das einige Millionen illegaler Immigranten in den nächsten zwölf Monaten zu US–Bürgern werden sollen. „Sind Sie jemals festgenommen oder verurteilt worden“, fragt sie. „Wenn ja, könnte es Schwierigkeiten geben.“ Das seit zwei Wochen laufende Legalisierungsprogramm hat nach anfänglichen Startschwierigkeiten geregelte Formen angenommen und läuft, so jedenfalls bestätigen die Mitarbeiter im „Casa Miguel“, überraschend reibungslos. Das „Casa Miguel“ ist eine Einrichtung der Hispanischen Mission der Episkopalischen Kirche der USA. Es ist eine der knapp zehn Stellen im Großraum Washington, die legalisierungswillige Immigranten beraten und die ihnen bei der Zusammenstellung der Dokumente helfen. „Casa Miguel“ wurde im vergangenen November von der US– Einwanderungsbehörde (INS) offiziell als Beratungsstelle zugelassen. Alle Beratungsstellen - es gibt bisher etwa 500 in den gesamten USA - arbeiten auf freiwilliger Basis. Seitdem ist das kleine Backsteinhaus am North Fairfax Drive in Arlington, nur wenige Kilometer vom Regierungsviertel in Washington entfernt, zu einem betriebsamen Ort geworden. Etwa zehn Antragsteller können täglich beraten werden. In einem ersten Gespräch muß festgestellt werden, ob sie überhaupt unter die Amnestiebestimmungen fallen. Das im vergangenen Oktober verabschiedete Einwanderungsgesetz verlangt, daß ein Antragsteller seit dem 1.1.1982 in den USA gelebt haben muß und dabei maximal 120 Tage außer Landes weilte. „Es klingt absurd, aber das kann man am besten nachweisen, wenn man keinerlei Einreisevermerke in seinem Paß hat“, sagt Eleanor Baldwin. „Oft sind unsere Besucher völlig verwirrt, wenn wir ihnen sagen, daß ihre Chancen auf Legalisierung stei gen, je eindeutiger ihr Illegalen– Status ist. All die Jahre haben sie versucht, dies zu verbergen, und nun kommt es ihnen zugute.“ Das Gesetz schafft absurde Härtefälle. Wer zwar seit 1982 illegal in den USA lebte, zwischendurch aber einmal mit einem korrekten Visum eingereist ist, fällt durch die Ritzen. Den Aufenthalt in den USA hingegen muß man durch Bankauszüge, Mietquittungen oder andere Belege, etwa Erklärungen des Vermieters, nachweisen. Für die Illegalen eine schwierige Situation, denn viele haben keine solchen Dokumente. Oft sind sie gezwungen, Bekannten und Arbeitgebern ihre jahrelang verschwiegene Lage preiszugeben. Wenn die geforderten Belege dann beisammen sind, kann der oder die Illegale beim „Legalisierungsbüro“ der INS den offiziellen Antrag auf Arbeits– und Aufenthaltserlaubnis stellen. Das INS–Büro in Washington, das für den „District of Columbia“ und den Bundesstaat Virginia zuständig ist und nur einige Blocks vom „Casa Miguel“ entfernt liegt, hat in den ersten vierzehn Tagen 185 Anträge angenommen, aber noch keinen endgültig akzeptiert. Eleanor Baldwin hält daher auch die Erwartungen der Einwanderungsbehörde, in den nächsten zwölf Monaten drei bis vier Millionen Immigranten legalisieren zu können, für übertrieben: „Schon wer nicht hier, in Washington, sondern im Süden Virginias lebt, hat es sehr viel schwieriger“, denn im Rest dieses Bundesstaates gibt es weder Beratungs– noch Legalisierungsbüros. Deswegen will das „Casa Miguel“ später auf Reisen gehen und auch in kleineren Städten wie Richmond oder Roanoke Beratungen durchführen. Die Einwanderungsbehörde bemüht sich derweil, sich von der besten Seite zu zeigen. Dies bestätigt auch Reverend Frances Nunn, nationale Projekt–Koordinatorin des Legalisierungsprogramms der Episkopalischen Kirche. „Wir haben bisher gute Erfahrungen gemacht, im Zweifel ist für den Antragsteller entschieden worden. Ich glaube, das Programm ist ein Erfolg, denn wer legalisiert ist, genießt fortan den Schutz des Gesetzes und kann nicht mehr schikaniert werden.“ Doch was des einen Freud, ist des anderen Leid: Für die Illegalen, die nach 1982 ins Land gekommen sind, wird die Lage schwieriger werden. Sie sind vor allem von einer anderen Bestimmung des Einwanderungsgesetzes betroffen, durch die Arbeitgebern zukünftig Strafen angedroht werden, falls sie Illegale einstellen. Obwohl es vom Gesetz nicht verlangt wird, haben viele Hotels und Restaurants aus Furcht ihre Schwarzarbeiter–Belegschaft entlassen. In Washington herrscht vor allem unter Salvadorianern große Angst und Unsicherheit. Die meisten von ihnen sind erst nach 1982 vor dem Krieg und den Todesschwadronen aus ihrer Heimat geflohen. El Salvadors Präsident Duarte kam ihnen jüngst zur Hilfe. Er warnte Präsident Reagan vor den wirtschaftlichen Schwierigkeiten für sein Land, falls die 400 bis 600 Millionen Dollar, die die salvadorianischen Flüchtlinge bisher jährlich nach Hause schickten, ausblieben.