Minderheiten in der Türkei

■ Seit Gründung der Republik werden Minderheiten in der Türkei verfolgt / In Wien trafen sich jetzt Vertreter der ethnischen Gruppen, um einen Bericht für die KSZE–Folgekonferenz zu erarbeiten

von Kurt Ullusch

„Vielleicht erstaunt es Sie, wenn ich als deutscher Staatsbürger hier in Wien als Referent über die Minderheiten der Georgier und Lasen auftrete“. Die Befürchtung des Ethnologen Wolfgang Feurstein, ein Teilnehmer der Konferenz über die Nationalitätenpolitik der Republik Türkei könnte daran Anstoß nehmen, daß er stellvertretend für die Betroffenen auftrat, erwies sich als grundlos. Nur zu gut konnten die vor zwei Wochen in einem Wiener Hotel Versammelten verstehen, daß der ursprünglich vorgesehene Referent abgesagt hatte, aus Furcht, türkische Organisationen könnten seinen Namen erfahren. Denn alle, die sich zu diesem Kongreß, initiiert vom Armenischen Weltkongreß, dem Dokumentationszentrum Armenien und der Gesellschaft für bedrohte Völker trafen, hatten ihre eigenen schlechten Erfahrungen mit der türkischen Politik gegenüber ethnischen Minderheiten hinter sich. Über zwei Tage berichteten die Nachkommen der aus der Türkei vertriebenen Griechen, Armenier und assyrischen Christen, Vertreter der Kurden und Jeziden aus der Türkei und eben Wolfgang Feurstein im Auftrag seiner georgischen und lasischen Freunde, über das Schicksal ihrer Völker unter dem türkischen Halbmond. Allein die nackten Zahlen machen deutlich, daß es den ethnischen Minderheiten in der Republik Atatürks nicht gut ergangen sein kann. So sank die Zahl der Angehörigen christlicher Volksgruppen von 4,7 Mill. (1914) auf gegenwärtig 84.500. Von den zu Beginn des ersten Weltkriegs über 2 Mill. Armeniern leben heute in der Türkei noch rund 70.000. Während ein aufgeklärtes Publikum außerhalb der Türkei zu mindest weiß, daß hunderttausende Armenier in den Jahren zwischen 1915 und 1916 einem regelrechten Völkermord zum Opfer fielen und daß gegen die in der türkischen Republik lebenden Kurden seit Jahren ein unerklärter Krieg geführt wird, ist schon die Existenz anderer ethnischer Minderheiten weitgehend unbekannt. Kaum jemand weiß von Tscherkessen, Lasen, Georgiern und der religiösen Minderheit der Jeziden. Schon deshalb ist auch weitgehend unbekannt, mit welcher Hartnäckigkeit die unterschiedlichsten türkischen Regierungen seit Ausrufung der Republik 1924 das Dogma, innerhalb der neuen Staatsgrenzen gebe es nichts als Türken, bis heute durchzusetzen versuchen. Die aus Felsbrocken zusammengelegten Schriftzüge an weithin sichtbaren Berghängen, „ Ich bin glücklich, Türke zu sein“, sind das wenigste, wodurch etwaige Zweifler daran erinnert werden, was sie zu sein haben. Adressat der Berichte auf dem Kongreß in Wien war eine aus fünf Personen zusammengesetzte internationale Jury, zu der sowohl Völkerrechtler wie auch prominente Vertreter verschiedener Menschenrechtsorganisationen gehörten. Die nach Abschluß der Konferenz von der Jury erarbeitete Stellungnahme, soll der ebenfalls in Wien tagenden KSZE–Folgekonferenz (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) überreicht werden. Über zwei Tage verteilt, hörte die Jury im Stil früherer Russell– Tribunale die Vertreter der Volksgruppen an. Angefangen von der Zerstörung armenischer Sakralbauten bis hin zu Inhaftierung und Folterung angeblicher Separatisten, die es gewagt hatten, sich zu ihrer Kultur zu bekennen, war und ist der Türkischen Republik nach den Schilderungen im Verlauf des Kongresses, jedes Mittel recht, um aus dem einstigen Vielvölkerstaat Osmanisches Reich eine homogene Masse türkischer Nationalisten zu machen. Wer sich dieser Politik widersetzt, muß heute noch mit schwersten Repressalien rechnen, die selbst im Ausland lebende türkische Staatsbürger, zumindestens aber deren Angehörige im Lande, treffen können. Entsprechend eindeutig fiel denn auch der Abschlußbericht der Jury aus, die sich für ihre Beurteilung an der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen und an der Europäischen Konvention der Menschenrechte orientierte, die auch die Türkei ratifiziert hat. Die Jury kam zu dem Schluß, daß sowohl das türkische Militärregime als auch die amtierende Zivilregierung sich eine Fülle von Menschenrechtsverletzungen haben zuschulden kommen lassen. Nimmt man die 1975 unterzeichnete Schlußakte von Helsinki als Maßstab, dann hat die Türkei nach Ansicht der Jury sowohl die Garantie der Religionsfreiheit als auch die Rechte nationaler Minderheiten eklatant verletzt. Als Konsequenz forderte die Jury sowohl die EG als auch den Europarat auf, die Aufnahme der Türkei zu suspendieren, „bis die grundlegenden Menschenrechte für die verfolgten Nationalitäten in der Türkei gewährleistet sind“.