I N T E R V I E W Unsere Angriffsfähigkeit vermindern

■ Daniil Proektor, Militärhistoriker und sowjetischer Rüstungsexperte der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, über die Veränderung der sowjetischen Militärdoktrin

taz: Auf einer Veranstaltung der Alternativen Liste Berlins haben Sie von einer Veränderung der Militärdoktrin der Sowjetunion gesprochen. Könnten Sie das präzisieren, welche konkreten Veränderungen hat es gegeben? Proektor: In den fünfziger und sechziger Jahren hatte die amerikanische Seite eine nukleare und konventionelle Überlegenheit. Deshalb gründete sich die sowjetische Militärdoktrin auf der massiven Vergeltung. Seit Mitte der siebziger Jahre haben wir allerdings unsere Position verändert und eine neue Verteidigungsdoktrin entwickelt. Unsere Abrüstungsvorschläge sind ein Teil dieser neuen Militärdoktrin. Wir haben unmißverständlich erklärt, Atomwaffen niemals zuerst einzusetzen oder überhaupt anzugreifen. Weiterhin sind wir nicht mehr Anhänger der Abschreckungsphilosophie. Wir wollen unsere Angriffsfähigkeit reduzieren. Wir unterstützen alle Maßnahmen in diese Richtung, wie z.B. die chemiefreie Zone in Europa, die von der SED und der SPD vorgeschlagen wurde. Wir haben eigene Vorschläge für atomwaffenfreie Zonen in Europa gemacht. Im Westen, zumal in der Bundesrepublik, wird eine konventionelle Überlegenheit der UdSSR ja ständig behauptet und daher die doppelte Null–Lösung von der Regierung abgelehnt. Was meinen Sie zur Reduktion der konventionellen Streitkräfte? Wenn die Verhandlungen über den Abbau der Mittelstreckenrakteten Erfolg haben, werden wir darüber nachdenken, ob wir unsere konventionellen Streitkräfte reduzieren können. Im konventionellen Bereich und im atomaren Bereich besteht im Prinzip ein Gleichgewicht. Das heißt aber nicht, daß in allen Waffengattungen das Gleichgewicht hergestellt ist. Wir z.B. haben eine Überlegenheit bei den Panzern, auch teilweise eine Überlegenheit bei anderen Waffen. Dafür haben die NATO–Partner bei Hubschraubern, im Mittelmeer, in der Nordsee etc. eine Überlegenheit. Jeder Bereich also gesondert betrachtet zeigt schon Ungleichgewichte. Aber zusammengenommen ist das Kräfteverhältnis ausgeglichen. Ihre Frage zielt ja nach den Angriffsstreitkräften. Die Panzerwaffe kann dies unter den heutigen Bedingungen gar nicht mehr sein. Aus dem Stand angreifen können wir gar nicht, das ging vielleicht noch vor 50 Jahren, aber nicht mehr heute. Alle Anstrengungen, in allen Waffenbereichen zu einer Reduktion zu kommen, werden von uns begrüßt. Gespräch: Jürgen Gottschlich/ Erich Rathfelder