Die Verantwortung des Ingenieurs

■ Deutscher Ingenieurtag in München / Freiheit und Verantwortung in Forschung und Technik / Ingenieurinnen als Elite in der Männergesellschaft / Das Auto im Mittelpunkt

München (taz) - Freiheit und Verantwortung in Forschung und Technik - ein wahrhaft großes Thema, das sich der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) auf dem mit 2.200 Teilnehmern (über die Zahl der Teilnehmerinnen konnten keine Angaben gemacht werden) „größten und medienwirksamsten Ingenieurtag“ diese Woche in München gestellt hatte. Die Beiträge fielen weniger pathetisch aus. Wer Kritik oder gar Selbstkritik der Ingenieure erwartet hatte, wurde enttäuscht. In den sechs Fast–Fachvorträgen zu Mikroelektronik, der Fabrik der Zukunft, Expertensystemen, Umwelterhaltung, technologischer Sicherheit sowie Technik und Gesellschaft wurde zu den umstrittenen Bereichen Gentechnologie, Atomenergie und Datenverarbeitung wenig Tiefgründiges geboten. Für den Siemensvorstand Hermann Franz etwa reduziert sich die Verantwortung des Ingenieurs vor allem auf das „rechtzeitige Vorliegen der Entwicklungsergebnisse. Da zählt man denn auch „die Zeit nicht in Wochenstunden“. Ethische Probleme mit der neuen Technik kann sich der Manager nicht leisten: „... so glaube ich, daß auf Dauer nur die Anwendungen bleiben werden, die einen positiven Beitrag zur Lebensqualität der Menschen leisten.“ Die Scheuklappen teilt er sich mit seinem Vorstand–Kollegen Heinz Braun von der Allianz. Der Risikoexperte spricht auch nach Tschernobyl immer noch von null Toten bei der Kernenergie, Proteste gegen die Verkehrstoten hat er „noch nie gehört“. Das Auto ist nach wie vor auch des deutschen Ingenieurs liebstes Kind. Als nach anderthalb Tagen erstmals das Publikum zu Worte kommt, steht - immer noch unter dem Thema „Freiheit und Verantwortung“ - die Blechkiste im Mittelpunkt. Der Forderung von Prof. Linde nach Entwicklung von sparsamen Kleinfahrzeugen setzt der Marktwirtschaftler Braun entgegen, daß das in einem demokratischen Staat nicht möglich sei, wenn die Verbraucher keines kaufen. Viel ist auch die Rede von der Informationspflicht und Bringschuld der Wissenschaft, doch Hans Wolfgang Levi von der Gesellschaft für Strahlen– und Umweltforschung (GSF) warnt vor der Überschätzung der Sachinformation. Vertrauensbildung gegen Angst und differenzierte Betrachtung sind angesagt. „Weniges ist schwarz oder weiß in dieser Welt, wir leben vielmehr in einer unglaublich differenzierten Skala von Grautönen.“ Farben scheint es in seiner Welt nicht zu geben. Dafür sind auch beim VDI die Frauen zuständig. Zwar lehnt es Helga Stödter, Ehrenpräsidentin der „Frauen im Management“, ab, daß Ingenieurinnen als „Exotinnen“ oder „Blumen im Kakteenfeld“ charakterisiert werden - sie sieht sie als „Elite in der Männergesellschaft“ -, das hindert sie jedoch nicht, ihre Kolleginnen wie eine Ware anzupreisen: „Frauen sind eine Investition in die Zukunft. Sie haben spezielle Eigenschaften ... Frauen sind physisch und psychisch belastbarer, ein weiterer Vorzug.“ Die These der Darmstädter Maschinenbauerin Moniko Greif, daß mit der Ausgrenzung der Frauen soziale Erfahrungen ausgegrenzt werden, die die Inhalte der Technik wesentlich beeinflussen würden, wird leider nicht aufgenommen. Stattdessen dreht sich alles um die geschlechtsneutrale Stellenausschreibung. (“Das geht oft aus Kostengründen nicht!“) Dabei haben doch VDI–Chef Becker zufolge „die Frauen bei uns im VDI ein Heimspiel“. Allerdings erst, nachdem die Hauptpartie abpfiffen ist. Achtundzwanzig Stunden nach Eröffnung, und nachdem die meisten Teilnehmer schon wieder abreisen, kommt die erste Frau zu Wort. Diplomingenieurin Christine Fürstin von Urach, bei Daimler in leitender Stellung, verbreitet auf ihre Art Hoffnung: „Vielleicht wird beim nächsten Ingenieurtag der Bundeskanzler auch auf die Ingenieurinnen eingehen.“ karaman