Konfusion in Washington

Auch ohne den irakischen Raketenangriff auf das US–Kriegsschiff „Stark“ wäre im Lande Ronald Reagans in diesen Tagen viel vom Dienst an Gott und Vaterland die Rede gewesen. Schließlich war „Memorial Weekend“, dem Gedenken an die Toten der vergangenen Kriege gewidmet. Während die einen, wie jeden Feiertag, zum Scheckbuch griffen und auf die Jagd nach den Sonderangeboten der „Memorial Day Sales“ gingen, pilgerten andere zu den Friedhöfen und Kriegerdenkmälern, rubbelten die ins Vietnam– Memorial in Washington eingravierten Namen ihrer Liebsten auf Papier und hinterließen Blumen und hunderte von blau–weiß–roten Fähnchen vor der granitenen Steinwand. Patriotismus am „Memorial Day“ Wenn es so richtig patriotisch zugeht, ist natürlich auch das Fernsehen zur Stelle, damit das stolze Nationalgefühl auch abends noch von den Bildschirmen tropft. Dieses Jahr war der „Memorial Day“ noch patriotischer als sonst, hatte man doch gerade 37 neue Op fer im Arsenal, auch wenn diese einen sinnlosen Tod gestorben waren. Eine willkommene Gelegenheit für Ronald Reagan, sich mit einer pathetischen Rede den weinenden Angehörigen einmal mehr als „Experte in der Praxis öffentlicher Trauer“, so Newsweek, zu präsentieren. Ursache seines Gastspiels auf einem Marinestützpunkt in Florida: Ein junger Iraki, offenbar im Umgang mit der überladenen Mirage nicht sehr versiert, hatte im persischen Golf das falsche Ziel erwischt und damit den bisher folgenschwersten Schiffstreffer des iranisch–irakischen Krieges gelandet. Die „USS Stark“ war zwar mit militärischer Abwehrtechnologie vollgestopft, doch hatte das teure Gerät einen entscheidenden Nachteil: Es war auf den Angriff eines befreundeten Jets nicht vorbereitet. „Ein einzigartiger, schrecklicher Fehler“ sei das Verhalten des irakischen Piloten gewesen, sagte Verteidigungsminister Weinberger, und ein gewaltiger Fehler war im Nachhinein auch das zögerliche Verhalten des Kapitäns der „Stark“. Dies zumindest war die Meinung vieler Angehöriger der 37 Toten, die tagelang fassungslos zu begreifen versuchten, wie schutzlos letztlich die Männer auf der US–Fregatte gewesen waren. Hinter der unmittelbaren Erschütterung über die Opfer wurden bald auch politische Fragen nach der militärischen Strategie der US–Marine im Golf, dem Sinn einer gewaltig aufgerüsteten Armada im Zeitalter der Hochtechnologie–Kriege und den Gefahren einer Eskalation gestellt, wenn nun US–Kriegsschiffe kuwaitischen Öltankern militärischen Schutz bieten sollen. Eine ganze Woche lang erlebte die amerikanische Öffentlichkeit eine verwirrte und konfus argumentierende Reagan–Administration, die auf die Fragen keine Antworten und auf die Befürchtungen nur Beschwichtigungen zu bieten hatte. Elf der 22 kuwaitischen Öltanker werden bald unter US–Flagge durch den Golf schippern, und die Frage ist, ob dies den Iran von Angriffen auf diese Schiffe abschrecken wird oder ob es ihn erst recht herausfordert. Caspar Weinberger ist von ersterem überzeugt, zahlreiche Mitglieder des Kongresses nicht. Sie forderten zumindest die formale, vom „War Powers Act“ vorgeschriebene Benachrichtigung des Parlaments, daß Truppen in eine Situation geschickt wurden, in der „feindselige Aktionen bevorstehend oder wahrscheinlich“ sind. Mit 91 zu fünf Stimmen verlangten die Senatoren außerdem eine ausführliche Information über die Pläne der Reagan–Administration - ein Abstimmungsergebnis, welches das Ausmaß der Verwirrung nur noch einmal unterstreicht. Bis zum Dienstag war immer noch offen, wie die US–Marine im Fall eines iranischen Angriffs auf eines der kuwaitischen Schiffe handeln würde. Reagan lehnte Auskunft auf diese Frage ausdrücklich ab; es sei besser, die Iraner hierüber im Dunkeln zu lassen. Würde ein Vergeltungsschlag gegen die neuen iranischen, von China gelieferten Schiffsabwehrkanonen an der Straße von Hormuz angeordnet? Dies wäre dann der endgültige Schlußstrich unter die schon lange bröckelnde offizielle „Neutralitätspolitik“ der USA im Golfkrieg. Stefan Schaaf, Washington