Geschafft: Postgeheimnis ausgezählt

■ Staatsanwaltschaft hebt Beschluß zur Beschlagnahme von Post der Vobo–Sammelstellen auf / Auch taz–Briefe beschlagnahmt / taz prüft rechtliche Schritte / Postbeamte mußten lügen / Behörden wollen Filmmaterial über Grünen–Parteitag

Von Petra Bornhöft

Berlin (taz) - Nachdem der Post– Beschlagnahmebeschluß des Amtsgerichtes Berlin–Tiergarten in Sachen Vobo–Post am Mittwoch nachmittag aufgehoben wurde, soll ab heute den etwa 120 betroffenen Projekten, Initiativen unkd Unternehmen, darunter die taz, die Post wieder „regulär“ zugestellt werden. Dies teilte der Berliner Justizsprecher Walter Neuhaus gestern auf Anfrage der taz mit. Nach dem richterlichen Beschlagnahmebeschluß vom 22.Mai, der bis heute keinem Betroffenen vorliegt, wurden nach Angaben von Neuhaus insgesamt 850 Postsendungen angehalten, dreißig Prozent davon enthielten angeblich „beschädigte“ Fragebögen der Volkszählung, bei denen die Kennummer fehlte. Gegen die Adressaten, so Neuhaus, werde weiterhin wegen des „Verdachts des Aufrufes zu Straftaten“ ermittelt. Sollte sich auf dem „beschädigten“ Bogen oder auf der Postsendung auch der Name des Absenders befunden haben, werde auch gegen diesen wegen Sachbeschädigung und Unterdrückung von Urkunden ermittelt. Noch unklar ist, wie die Aktion - seit ähnlichen flächendeckenden Ermitlungsmethoden zur Zeit des KPD–Verbots bisher beispiellos - im einzelnen ablief. So erfuhr etwa die taz nur aus der Berliner Tageszeitung Der Tagesspiegel, daß aus ihrer Post „33 Sendungen“ beschlagnahmt worden seien. Andere Betroffene erhielten vom Zusteller die knappe Auskunft: „Post habe ich nicht“. Zu dieser Lüge hatte die Landespostdirektion Berlin die Beamten in einem Ferschreiben aufgefordert, das der taz zugespielt wurde. Auskünften des Justizsprechers Neumann zufolge haben die Postämter drei Tage lang die komplette Post der „Sammelstellen“ und der taz „äußerlich geprüft“, ob die Sendungen Zählbögen enthielten. Im Anschluß daran seien verdächtige Sendungen, die offiziellen grünen Zählbogen–Rückumschläge und neutrale DIN A5– Umschläge, nach Adressaten sortiert in versiegelten Umschlägen an Staatsanwalt und Ermittlungsrichter weitergeleitet worden. Der Richter habe die Post geöffnet sowie beschädigte und unbeschädigte Bögen an das Statistische Landesamt geschickt. Unterdessen prüfen die Rechtsanwälte der taz juristische Schritte gegen die Deutsche Bundespost wegen Aushöhlung des Postgeheimnisses. Denn die Rechtsgrundlage für die Beschlagnahme - Vorwurf der Urkundenunterdrückung und Sachbeschädigung - ist mehr als fragwürdig, zumal die taz auf öffentlichen Listen der „Altpapier–Sammelstellen“ darauf hingewiesen hat, sie leite keine Zählbögen weiter. Gravierender noch erscheint die Mißachtung der besonderen Rechte einer Zeitung aufgrund der Strafprozeßordnung und der Pressefreiheit. Sofern der Staatsanwalt die Absender von an die taz gerichteten Briefen registriert hat, wurde der gesetzlich garantierte Informantenschutz unterlaufen. Daß dies geschehen ist, läßt sich nicht ausschließen. Zur Zeit gehen täglich etwa 40 Briefe bei der taz ein, auf denen namentlich genannte Absender ausdrücklich „Vobo“ oder „Volkszählung“ vermerken. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 Siehe auch Seite 9 B A R O E T E R 27.5.1987 339.001 Die Beschlagnahmeaktion der Berliner Behörden wurde mit der offiziellen Begründung beendet, daß man sich „nach Bekanntwerden keine weiteren Erfolge“ mehr verspreche. Die Staatsanwaltschaft möchte nun mithilfe der etwa 300 sichergestellten Bögen das Ausmaß des Boykotts der Volkszählung dokumentieren. Bundesinnenminister Zimmermann (CSU) scheint notwendig, die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung - sie kostete bisher 50 Millionen DM - in den nächsten drei bis vier Wochen fortzusetzen. Vor dem Bundeskabinett erklärte der Minister am Mittwoch, es sei zweckmäßig, den Ablauf der Zählung weiter zu überwachen und durch vertrauensbildende Maßnahmen zu unterstützen. Der Südwestfunk (SWF) hat unterdessen nach Angaben des Ressortchefs Landespolitik, Hariolf Reitmaier, „aus grundsätzlichen Erwägungen“ die Bitte der Staatsanwaltschaft Stuttgart abgelehnt, Videoaufzeichnungen vom Landesparteitag der badenwürttembergischen Grünen herauszugeben. Die Staatsanwälte, so Reitmaier, hätten sich vermutlich für Bilder vom Auftritt der Bundesvorstandssprecherin der Grünen, Jutta Ditfurth, interessiert. Sie hatte bei dem Parteitag am letzten Wochenende zum Boykott der Volkszählung aufgerufen und von einem Fragebogen demonstrativ die rechte obere Ecke abgerissen. Nach Einschätzung des SWF wird die Staatsanwaltschaft, die am Mittwoch zu keiner Stellungnahme bereit war, nun möglicherweise einen Beschlagnahmebeschluß beim Amtsgericht Stuttgart erwirken.