Was macht die Seemannsbraut am Nachmittag?

■ Öffentlichen Wirbel löste in Griechenland eine Studie über die „Ehe mit dem Seemann“ aus / Warten, daß er kommt, warten, daß er geht ... / Die Ehefrauen leben in einem Goldenen Käfig, „liebevoll“ von ihrer dörflichen Umgebung überwacht

Aus Athen Doris Wille

Was macht die Seemannsbraut am Sonntagnachmittag, am Montag– nachmittag, am Dienstag...? Was sie auch immer tun mag, das Auge des Dorfes ruht auf ihr. Ist der Gatte nach seinem Landaufenthalt wieder auf hoher See und sie erscheint gut gekleidet auf der Hafenpromenade, da fragt man sich doch: „Für wen?“ Frauen, die mit Seeleuten verheiratet sind, gehören zu den beliebten Objekten öffentlichen Interesses, besonders natürlich auf den Inseln und in den kleinen Dörfern des Festlandes. Vier Frauen des Elternrats (Scholi goneon), einer pädagogischen Initiative in Griechenland, stellten im vergangenen Juni auf Kreta bei einem internationalen Kongreß eine Untersuchung zum Thema „Die Ehe mit dem Seemann“ vor. Galaxidi, ein Dorf in der Nähe von Delphi, bildet dabei den Hintergrund. Im internationalen Rahmen ernteten die Frauen Lob und einhellige Zustimmung, in Galaxidi reagierte man beleidigt. Milde ausgedrückt. Wohlweißlich hatten die Frauen ihre Untersuchung dort niemandem gezeigt. Dann aber ging sie - mit neun Monaten Verspätung - fotokopiert, sozusagen als Raubdruck, von Haus zu Haus. Was folgte, war eine Hexenjagd mit anonymen Briefen, Telefonanrufen zu jeder Tages– und Nachtzeit; man verfuhr mit den Mitteln einer geschlossenen Gesellschaft gegen die „Nestbeschmutzerinnen“, und schließlich drohte man ihnen sogar mit dem Rausschmiß. Die Geschichte ging als Skandal durch die gesamte griechische Presse, bis hin zu einer einstündigen Reportage im Fernsehen - sonntags zur besten Sendezeit. Die Galaxidioten hatten sich mit ihrer Reaktion als hinterwäldlerisch ins Licht der Öffentlichkeit katapultiert. Für die Untersuchung ist das idyllische Dorf nicht mehr als ein Fallbeispiel. Was also verbirgt sich hinter den weißen Fassaden? Charakteristisch für die Situation der Seemannsfrauen scheint zu sein, daß sich ca. ein Drittel des knappen Textes mit den Lebensumständen und dem Persönlichkeitsbild des Mannes beschäftigt. Stärker als in anderen Beziehungen wird gerade das Leben der Frauen, die mit Seeleuten verheiratet sind, durch den Ehemann bestimmt. Wer käme schon auf den Gedanken, eine Analyse über die Frauen von Friseuren, Taxifahrern oder Bankangestellten zu schreiben? Fische auf dem Trockenen Es geht um die Männer, die in der Handelsmarine arbeiten und sieben Monate und mehr unterwegs sind. Der begrenzte Raum des Bootes, auf dem sie leben, der enge gesellschaftliche hierarchische Rahmen und der Mangel an Gesprächsthemen machen sie zu einem eigenbrödlerischen, einzelgängerischen Typ Mann. Während des Landaufenthalts verhalten sie sich wie ein „Fisch auf dem Trockenen“, heißt es in der Untersuchung, ein Satz, der Protest stürme ausgelöst hat. Eine der vier Autorinnen kennt die Situation hautnah, denn sie ist mit einem Schiffsmechaniker verheiratet, die anderen sehen sie vor allem aus dem Blickwinkel der Wissenschaftlerinnen als Soziologin, Juristin und Mitarbeiterin des Schiffahrtsmuseums des Ortes. Die Probleme werden mit großer Duldsamkeit ertragen. Nach der Untersuchung steht an erster Stelle für die Frauen ihre soziale Isolation und die Überwachung durch das Dorf. Oft erwarten Frauen dann alles, was sie an Geselligkeit das ganze Jahr über vermissen, von ihrem heimkehrenden Ehemann. Dessen Bedürfnisse befinden sich am entgegengesetzten Pol des Wünschespektrums: An ruhiges Leben auf dem Schiff gewöhnt, strengt ihn das Spektakel in der Taverne an, und er verdöst lieber den Abend vor dem Fernseher. Schließlich läßt sich die Anwesenheit des lang Ersehnten nur noch in Gedanken ertragen: „Bald ist er wieder weg.“ Die Katze beißt sich in den Schwanz. Bei solch perfekten Verdrängungsmechanismen ist trotz der Unzufriedenheit mit den Lebensumständen die Scheidungsrate erstaunlich gering. Leben im Goldenen Käfig Verlockend ist: Es handelt sich um einen gut bezahlten Beruf; die Familien sind wohlhabender als der Durchschnitt. Die Kehrseite der Medaille ist, daß in den seltensten Fällen auch die Frauen erwerbstätig sind. Nur 10 Prozent gehen einem Beruf nach. Sie leben in einem Goldenen Käfig. Ihre Hauptaufgaben beschränken sich auf Haus und Kinder und aufs Warten. Das luxuriöse Eigenheim wird zum Wartezimmer: Wenn er weg ist, wartet sie darauf, daß er kommt; wenn er da ist, daß er wieder geht. Am schlimmsten ist es, wenn er dann wirklich bleibt, und zwar für immer. Die Rente bedeutet für die meisten Seemannsehen eine Katastrophe. Die Untersuchung kratzt noch sehr an der Oberfläche. So wird z.B. das heiße Eisen, daß den Frauen sexuelle Kontakte fehlen, kaum berührt. Das noch größere Tabu, wie denn die Gatten das Problem handhaben, wird erst gar nicht angesprochen. Ob die Autorinnen eine Perspektive sehen? Vielleicht wäre es etwas besser, wenn der Arbeitsrhythmus wie in Frankreich drei und nicht sieben Monate betragen würde. Und Aufklärung in den Schulen täte not. „Weite Reisen auf blauer See in zauberhafte Häfen“ - dieser romantische Traum spuke noch in zu vielen Mädchenköpfen herum, wenn sie an eine Ehe mit einem Seemann denken.