Hackethal attackiert Gesundheitstag

■ 4. Gesundheitstag mit 70.000 Mark Schulden beendet / Julius Hackethal redete doch noch in Kassel Heftige Kritik des umstrittenen Mediziners an den „Scharfmachern der Behindertenbewegung“

Aus Kassel Oliver Tolmein

Gestern ging der 4. Gesundheitstag in Kassel mit einer Abschlußveranstaltung zuende. Die Veranstalter rechnen mit 70.000 Mark Schulden. 80 der etwa 500 Veranstaltungen sind nach ihren Angaben wegen organisatorischer Pannen und aufgrund des Boykotts der Krüppelgruppen und Initiativen aus Hamburg und Westberlin vollständig ausgefallen. Zahlreiche andere wurden mit veränderten Themen und Referentinnen durchgeführt. Auch die von mehreren hundert Frauen am Samstag besuchte zentrale Veranstaltung des frauenpolitischen Schwerpunkts über „Selbstbestimmungsrecht und neue Reproduktionstechnologien“ beschäftigte sich letztlich mit dem beherrschenden Thema: der abgesetzten „Euthanasie“–Veranstaltung von Julius Hackethal und dem von etlichen Gruppen beschlossenen Boykott des Gesundheitstages, dem sich die Referentinnen, darunter Maria Mies, anschlossen. Unterdessen hatte der ausgeladene Referent Hackethal zur Selbsthilfe gegriffen und für Sonntag vormittag auf eigene Rechnung die Stadthalle angemietet. Begleitet von einer Dixieland– Band referierte er dort vor etwa 1.000 meist aus Kassel stammenden ZuhörerInnen über sein „Erlösungstodhilfe“–Konzept, seine Vorstellung von ärztlicher Hilfe und seine Einstellung zum Gesundheitstag. Die Ausladung führte er vor allem auf die „Scharfmacher aus der Behindertenbewegung“ zurück. Dazu gehöre von hundert Behinderten zwar nur einer, „aber die sind mit dem Teufel im Bunde“: „Es ist nicht zu fassen, ausgerechnet diese Schwerstbehinderten sind gegen die kontrollierte Erlösungstodhilfe auf Verlangen eines lebensmüde gequälten Menschen.“ Er habe seiner Patientin Daniela, die sterben wolle, von den Protesten gegen seinen Auftritt erzählt: „Die hat geschrieen vor Wut.“ Daniela sei vom Hals abwärts gelähmt, „die ist maximalbehindert, schlimmer gehts nicht, die weiß wovon sie redet.“ Die Behinderten auf dem Gesundheitstag hätten sich durchsetzen können, weil es eine „Alle fünf Minuten über jeden Scheiß Ab stimmen“–Demokratie gebe. Er, so Hackethal weiter, zeige jetzt mal, wer die „Basokraten“, deren Boykott gegen ihn „dem Hirn von Bösen entspringt“, wirklich seien: Auf die Leinwand hinter dem Rednerpult wurde ein Dia „Die Pestratten im Einsatz“ von A. Paul Weber projiziert. Die Ausfälle gegen die „Chaoten vom Gesundheitstag“ garnierte Hackethal mit einer Kritik an der krankmachenden Medizin in der BRD: „Zu einem Kassenarzt zu gehen, ist gefährlicher, als in Tschernobyl zu wohnen“. Es sei dringend erforderlich, daß in der Bundesrepublik endlich ein zentrales Gesundheitsministerium „mit Richtlinienkompetenz für die Länderministerien und für die ärztlichen Standesvertretungen“ eingerichtet werde. Hackethal kündigte an, am 9. Juni seiner Patientin Daniela einen doppelten Tropf anzulegen: auf der einen Seite eine Traubenzuckerinfusionslösung, auf der anderen ein tödliches Narkosemittel. Die Patientin könne dann, unter seiner Aufsicht, den Hebel selbst umstellen. Sollte die Staatsanwaltschaft, die über sein Vorgehen unterrichtet sei, gegen dieses Vorhaben einschreiten, werde Daniela eine Eilentscheidung beim Bundesverfassungsgericht herbeizuführen versuchen, „damit endlich die Folterqualen ihres Lebens beendet werden“.