Geteiltes Jerusalem - wiedervereinigt?

■ Der Jahrestag des israelisch–arabischen Krieges von 1967 wird sehr unterschiedlich begangen

„Wiedervereinigung Jerusalems“ für die einen, zwanzig Jahre Besatzung für die anderen: Während Israel feiert, erinnern Palästinenser, die unter der Besatzung leben, und linke Israelis am 20. Jahrestag keinen Grund zum Jubeln. Auch zwanzig Jahre nach dem Juni–Krieg, der sich in dieser Woche jährt, liegen in Israel, abgesehen von einer kleinen Minderheit, keine Lösungsvorstellungen vor, in denen die Palästinenser als eigenständige Kraft berücksichtigt werden.

Vor fast 3.000 Jahren wurde Jerusalem unter König David zur Hauptstadt der Juden. „Seither ist Jerusalem immer unsere Hauptstadt geblieben, gleich, ob wir dort waren oder nicht, und wir waren lange nicht dort“, erklärte der Bügermeister der Stadt, Teddy Kollek, kürzlich auf einer Veranstaltung in Berlin. Kein Wunder also, daß die israelische Regierung und die Zionistische Weltorganisation den Jahrestag des Junikrieges, in dessen Verlauf auch das arabische Ostjerusalem erobert wurde, als den Tag der „Wiedervereinigung“ der Stadt begehen. An jenem 7.6.67, als die israelischen Soldaten um zehn Uhr morgens vor der Klagemauer im eben eroberten Ostteil der Stadt standen, spielten sich dort ergreifende Szenen ab. Vor dem wichtigsten Heiligtum der Juden, dem einzigen Rest des im Jahre 70 von den Römern zerstörten jüdischen Tempels, sammelten sich betende und weinende Menschen, während in anderen Teilen der Stadt die Kämpfe mit den jordanischen Truppen noch andauerten. Fünf Personen bezahlten ihre Ungeduld mit ihrem Leben, als sie über die noch nicht geräumten jordanischen Minenfelder eilten. Der 67er Krieg löste eine neue Einwanderungswelle aus: Für viele wurde Israel erst nach der Eroberung Jerusalems zu einem „richtigen“ jüdischen Staat. Besonders strenge Sicherheitsvorschriften begleiteten letzte Woche die Feierlichkeiten zum Jahrestag, der nach dem hebräischen Kalender bereits am Mittwoch begangen wurde. Am Wo chende zuvor war es zu einer ganzen Reihe von Protestdemonstrationen und Anschlägen in Jerusalem und den besetzten Gebieten, der Westbank und dem Gaza– Streifen gekommen. Zehntausende von Israelis feierten das Ereignis mit Feuerwerk, Konzerten und Gedenkgottesdiensten für die Toten des Junikrieges. Präsident Chaim Herzog nutzte den Anlaß, mit den Ländern ins Gericht zu gehen, die Jerusalem nicht als die „vereinigte Hauptstadt“ Israels anerkennen. Die Haltung dieser Länder sei zynisch, fadenscheinig und ignoriere die politische Realität, befand Herzog. Die meisten Staaten haben diese Anerkennung bisher verweigert. Nicht nur Annexion und Wiedervereinigungsfeiern weisen darauf hin, daß Israel nicht gewillt ist, den Status der „Davidsstadt“ in die Verhandlungsmasse für eventuelle Nahost–Gespräche aufzunehmen. Jedem Besucher springt der dichte Ring von neuen jüdischen Vorstädten ins Auge, die seit 1967 errichtet wurden und das arabische Ostjerusalem fast völlig umgeben. Ungeachtet der „Wiedervereinigung“ wurde in der Altstadt nicht gefeiert. Statt dessen hat ein anläßlich des Jahrestages gegründetes Komitee unter dem Motto „Beendigung der Besatzung“ zu kulturellen und politischen Veranstaltungen aufgerufen. Dutzende von jüdischen und palästinensischen Künstlern beteiligten sich am Samstag abend an einer Freiluftausstellung auf dem Dizengoff–Platz in Tel Aviv. Für den kommenden Samstag ist eine Demonstration geplant. Ähnlich wie für die israelische Linke, bedeutet der Jahrestag für die Palästinenser 20 Jahre Besatzung und Annexion. „Wiedervereinigung“ heißt für die 135.000 Palästinenser (gegenüber 340.000 Juden) vor allem die „Judaisierung“ ihrer Stadt, die sich niederschlägt in Enteignungen, Diskriminierung bei städtischen und sozialen Diensten oder Baubewilligungen, Zensur ihrer Zeitungen und Patrouillen der israelischen Grenzpolizei in den Straßen. „Keine Regierung der Welt erkennt die Annexion Ostjerusalems durch Israel an, warum sollten die Palästinenser diesen gegen sie gerichteten Vergewaltigungsakt gutheißen und legitimieren“, meinte kürzlich Daoud Kuttab, Redakteur der Ostjerusalemer Zeitung Al Fajr, gegenüber der taz. Das Poblem Jerusalems könne nicht separat geregelt werden, sondern nur im Rahmen einer Globallösung, die die Rechte der beiden Völker berücksichtigen müsse. Die Zukunft Jerusalems als Zentrum dreier Weltreligionen, des Judentums, des Christentums und des Islam, liegt nicht nur dem Vatikan, der arabischen Welt oder dem Heiligen Krieger Khomeini am Herzen, der seine Streiter mit dem Hinweis auf die Schlachtfelder schickt, der Weg zur Befreiung Jerusalems führe über die irakische Hauptstadt Bagdad. Sie ist auch, und in erster Linie, ein Anliegen der Palästinenser. In kaum einem Haus in den Flüchtlingslagern, sei es in den besetzten Gebieten, in Syrien oder im Libanon, fehlt neben der Karte Palästinas das Foto des Tempelbergs von Jerusalem. Beate Seel