: Eine Kampagne gegen die Verursacher des Elends
■ Drei Tage lang diskutierte der Bundeskongreß entwicklungspolitischer Gruppen in Fulda über die Verschuldung der Dritten Welt und Aktionen anläßlich der IWF/Weltbanktagung 1988 in West–Berlin / Zwischen Uni–Seminar und Anti–Impitreff / Autonome:Verhindern wir den Kongreß / Mehrheit für Gegenveranstaltung
Aus Fulda Nina Boschmann
Das Dilemma des Reformismus stand im wahrsten Sinne des Wortes im Raum. „Was würde passieren“, fragte eine Stelltafel der Peru–Gruppe Münster in der Aula der Fuldaer Fachhochschule provokant, „wenn Alan Garcia sein Versprechen wahrmachen und tatsächlich nur zehn Prozent der Exporterlöse des Andenlandes für den Schuldendienst aufwenden würde?“ Unter günstigsten Bedingungen (keine Neuverschuldung, keine Tilgungszahlungen, konstante Zinssätze) würden sich die Schulden Perus von derzeit 14 Milliarden Dollar auf knapp 20 Mrd. um die Jahrtausendwende erhöhen. De facto bleibt die propagierte Politik ohnehin nur Rhetorik: Peru zahlt weiterhin brav 30 Prozent seiner Exporterlöse an die Gläubigerbanken. Triste Aussichten für die Armen in den Slums von Lima, die ihre Kinder mangels Alternative mit Hühnerfutter zu ernähren versuchen und für die Garcia nach Jahren der Sparprogramme die Hoffnung auf Wandel verkörperte. Triste Aussichten offenbarten auch die Mehrzahl der Vorträge und Arbeitsgruppen auf dem erstaunlich gut besuchten 11. Bundeskongreß entwickungspolitischer Aktionsgruppen, der unter dem Motto „Elende Schuld - unverschuldetes Elend“ am Sonntag zu Ende ging. Bekannte Namen aus dem akademischen Spektrum wie Winfried Wolff oder Alexander Schubart zeichneten düstere Szenarien vom mehr oder weniger baldigen Zusammenbruch des Internationalen Finanzsystems. Die Bösewichter hießen einmal mehr USA und Südafrika, durchsetzbare Lösungen waren nicht in Sicht und zahlreiche Länder–Arbeitsgruppen belehrten ewig Optimistische: Kaum ein Land der Dritten Welt (mit Ausnahme vielleicht der im kapitalistischen Sinne effizienten Entwicklungsdiktatur Südkorea) kann sich heute dem Diktat des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank entziehen. Allen Reformansätzen zum Trotz zahlen die Völker für die Projektgigantonomie der Vergangenheit. Berge von Material belegten: Die Verschuldungskrise ist zur Genüge erforscht und erlitten worden, Action tut not. Und um genau die zu diskutieren, waren die mehreren hundert TeilnehmerInnen nach Fulda gekommen. Erstaunlich sachlich und abseits der eigenen Bauchnabelschau beriet ein breites Spektrum von Grünen und weniger Grünen, Dritte–Welt– und Eine– Welt–Gruppen, Autonomen und kritischen Vertretern der Entwicklungspolitischen Insitutionen über die ideologischen Gegensätze hinweg über Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Angesichts der im kommenden Jahr in Berlin stattfindenden Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank drängt die Zeit. Der Kongreß im September 1988 ist - soweit der allgemeine Konsens - eine Herausforderung an die bundesdeutsche Solidaritätsbewegungen jedweder Couleur. Bei der Beurteilung der beiden globalen Wirtschaftinstitutionen herrscht weitgehend Einigkeit: Eine groß angelegte Kampagne muß die Verantwortung der BRD in diesem Spiel offenlegen. Nur was daraus folgt, daran scheiden sich die Geister heftig. Soll man, wie bei Teilen der Bonner Grünen diskutiert, einen möglichst prestigeträchtigen großen Gegenkongreß veranstalten? Wen einladen? Nur die Vertreter von Volksorganisationen und Befreiungsbewegungen? Oder auch die vom IWF bedrängten Regierungen, die rhetorisch engagierten Garcias? Oder soll man/frau sich lieber auf Störmanöver der offiziellen Veranstaltungen konzentrieren? Zu letzterem hieß es in einem Flugblatt der „Autonomen Gruppen“ in West–Berlin ganz klipp und klar: „Die Verantwortlichen für Hunger, Ausbeutung, Terror und Kriege auf der ganzen Welt kommen in diese Hauptstadt der Freien Welt. Unser Vorschlag: Verhindern wir diesen Kongress!“ Da wurde vom Nicaragua–Büro Wuppertal ausgleichend die „Vielfalt des Widerstandes“ beschworen, was einem Berliner Autonomen den Schweiß auf die Stirn trieb: „Schon recht, aber wie soll ich das den Kreuzberger Genossen vermitteln? Was ich da erzählen kann, ist doch: Die Schweine kommen, wir machen was.“ Soll man sich auf eine rein Entwicklungspolitisch orientierte Kampagne konzentrieren, oder nach dem Vorbild des amerikanischen „Debt Crisis Network“ gezielt die Unterstützung von Gewerkschaften und der bislang anderweitig beschäftigten Friedensbewegung suchen? Um es kurz zu machen: Die Bündnisfrage wurde an diesem Wochenende nicht gelöst, aber es ist ja noch Zeit und man bleibt im Gespräch bis zum nächsten bundesweiten Treffen, das voraussichtlich am 17. Oktober in Frankfurt stattfinden soll. Viel nachdenklicher stimmte dagegen die in Arbeitsgruppen ganz unspektakulär geführte Debatte über die mit der Kampagne verbundenen Forderungen. Verkehrte Welt (oder die neue Ehr lichkeit) herrschte für die Reporterin zum Beispiel in der Frage der Schuldenstreichung, die in der vom BUKO vorgelegten Fuldaer Erklärung einen zentralen Stellenwert einnahm. Da plauderte Grün–MdB Ludger Volmer in der Weltbankarbeitsgruppe über ein Frühstück mit einem hohen Vertreter des Finanzministeriums, bei dem jener - ganz im Gegensatz zur offiziellen bundesdeutschen Position - habe durchblicken lassen, eine Streichung der Schulden für die schwarzafrikanischen Länder sei durchaus denkbar. Während zwei Zimmer weiter eine in der Erwachsenenbildu das Geld, wer solls bezahlen“, pflichteten ihr auch andere bei. Jutetaschen sind manchen offenbar genug der guten Taten. Da setzte eine bis dato unbekannte „Aktion für Gerechtigkeit“ mehr auf Originelles: Am Samstag vormittag setzte sich ein Trupp von 80 Interessierten Richtung Fuldaer Dom in Trab, um dort den Domschatz zu besichtigen und von der Katholischen Kirche seine Rückgabe an die rechtmäßigen Besitzer, die ausgepowerten Völker Lateinamerikas, zu fordern. Auch ein Beitrag zur Devisenbeschaffung, hieß es einleuchtend in der mündlichen Begründung. Indes, der Zutritt zum Objekt der Begierde scheiterte am Eintrittsgeld und der Bischof war auch nicht zu sprechen. Die von Volmer vorgestellten Aktivitäten des US–amerikanischen „Debt Crisis Network“ deuteten eher auf Erfolg moderater, breitangelegter Initiativen hin. Einer der bislang größten Triumphe des lockeren Bündnisses, so berichtete der grüne Verschuldungsexperte, sei in den USA in Zusammenarbeit mit konservativen Umweltschutzorganisationen erzielt worden. Durch systematische Lobbyarbeit bei Abgeordneten sei eines der größten Amazonas–Erschließungsprojekte der Weltbank in Brasilien vorläufig gestoppt und neu evaluiert worden. Ökologische Kriterien seien daraufhin in das Vorhaben einbezogen worden, wenn sie auch de facto nicht eingehalten würden. Was tun? Die Medienbörse der FH gab Antwort in Form eines anonymen aber gleichwohl genialen Plakats: Alle reden davon - wir haben es: das neue Weltwirtschaftssystem. Es ist gerecht, es ist ein sich selbststeuerndes System, das unser Überleben programmiert; jeder kann seine Bedürfnisse befriedigen, und es belohnt diejenigen, die dies am besten tun. Jeder ist kreditwürdig, bis er das Gegenteil beweist. Es gibt keine Zinsen, keine Arbeitslosigkeit, keine Ausbeutung und jeder kann mitmachen. Wer da keine Laune kriegt ...
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