Hamburger Redaktion hinter Rusts Flug?

■ Noch keine Klarheit, welche Strafe Tiefflieger Rust in der UdSSR zu erwarten hat / Sowjetische Bürger stellen angeblich die Verteidigungsbereitschaft der Flugabwehr nicht in Frage / Pflichtverletzungen in der Armee werden weiterhin geprüft

Aus Moskau Alice Meyer

Einige kleine, nett verpackte Überraschungen hielt Gennadi Gerassimow, Sprecher des Außenministeriums der UdSSR, für die in Moskau akkreditierten Journalisten bereit, die auf einer Pressekonferenz erfahren wollten, wie sich die sowjetische Regierung zum ungebetenen Flieger und Eindringling Matthias Rust stellt. Ob es ein „Dumme–Jungen– Streich“ oder die vorbereitete Aktion einer Gruppe war, werde sowjetischerseits noch untersucht, sagte Gerassimow. Es gebe jedoch Hinweise auf Hintermänner. Der junge Pilot habe angeblich mit einer „Hamburger Redaktion“ die Flugroute durchgesprochen und diese dann detailliert ausgearbeitet. Rust droht ein längerer Aufenthalt in einem Sowjet–Knast, als Falin und Bahr glauben machen wollen. Gerassimow führte auf der Pressekonferenz aus, daß nach UdSSR–Gesetzen diese „Störung des internationalen Flugver kehrs“ mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren geahndet werde, und ferner Geldstrafen bis zu 1.000 Rubeln und Konfiskation des Flugzeugs folgen können. Rust habe sich strafbar gemacht, „weil er keine Genehmigung hatte, in die UdSSR einzufliegen und dort zu landen“. Auf die Frage eines Journalisten, wie das Volk an die Verteidigungsbereitschaft des sowjetischen Staates glauben könne, wenn Moskau derart leicht illegal angeflogen werden kann, bemerkte der Chef des Pressezentrums am Subowskij Bulwar: „Wie wollen Sie von einem Einzelfall auf die gesamte Verteidigungsfähigkeit schließen? Es handelte sich nur um ein kleines Privatflugzeug. Wenn es sich um einen anderen Flugzeugtyp gehandelt hätte, wäre auch anders reagiert worden.“ Gerassimow ließ keinen Zweifel am Fehlverhalten der sowjetischen Luftabwehr. Diese habe Befehl, bei derartigen Vorkommnissen das Flugzeug zur Landung zu zwingen. Ob „objektive oder subjektive“ Fehlhandlungen vorlägen, „menschliches oder technisches“ Versagen, werde noch untersucht. Wer sich „Pflichverletzungen“ hat zuschulden kommen lassen, werde zur Verantwortung gezogen. Daß Gerassimow über den hohen Stellenwert von Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten im Sowjetstaat sehr gut informiert ist, zeigte übrigens auch seine Antwort auf die Frage, weshalb die Nachrichtenagentur TASS lediglich gemeldet hatte, daß der westdeutsche Sportflieger „in Moskau“ gelandet war, und verschwiegen hatte, daß der Rote Platz und der Kreml verunheiligt wurden. Antwort: „Da müssen Sie TASS fragen.“