Fouls statt Fair play in Maggies Wahlkampf

■ Eine jetzt in London erschienene Recherche enthüllt die „dirty tricks“ der Thatcher–Regierung im Wahlkampf 83 / Indizien sprechen dafür, daß es diesmal nicht viel anders ist / Aus London Rolf Paasch

Wahlkampf in Großbritannien anno 1983: Mit allen erdenklichen schmutzigen Mitteln, mit Hilfe des eigenen Geheimdienstes und Geldern der rechtsgerichteten US–amerikanischen „Heritage Foundation“ wurden Friedensbewegung und Labour Party als Sicherheitsrisiko hingestellt. Als diese verfassungswidrigen Wahlkampf–Methoden der Tories nun in diesem Frühjahr in einer Fernsehsendung behandelt werden sollten, wurde der Beitrag kurzerhand abgesetzt. Begründung: Es ist ja wieder Wahlkampf. Und auch in der lafenden Auseinandersetzung haben die Tories es wieder geschafft, Labour als Vaterlandsverräter zu präsentieren.

Britischer Wahlkampf im Juni 1987. Jeden Morgen gibt jeder der drei Parteiführer eine Pressekonferenz zu einem bestimmten Themenkomplex. Oppositionsführer Neil Kinnock will an diesem Tag im Saal des Gewerkschaftshauptquartiers über die Pläne seiner Partei zur Verbesserung des staatlichen Gesundheitssystems und zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit reden. Beides sind Paradethemen seiner Labour Party, die gerade dabei ist, in den für sie bis dato deprimierenden Meinungsumfragen wichtige Prozentpunkte gegen die führenden Konservativen aufzuholen. Doch es soll alles ganz anders kommen. Jenseits des großen Teiches hat Präsident Reagan in der vergangenen Nacht eine Gruppe europäischer Journalisten empfangen und ihnen Rede und Antwort gestanden. Wahlhilfe auf amerikanisch. Er bewundere, was seine Freundin Margaret Thatcher in der Außenpolitik, aber auch in der Innenpolitik für Großbritannien erreicht habe. Niemand fragt den Präsidenten, ob er sich in den heruntergewirtschafteten Industrieregionen und den verkommenen Innenstädten des britischen Nordens einmal genauer umgeschaut hat. Aber davon abgesehen, so fährt der behutsame Regent, der auch sonst oft nur die Hälfte der Wahrheit kennt, fort, wolle er sich nicht in die inneren Angelegenheit Großbritanniens einmischen. Fünf Minuten später tut er es dann doch. Auf die ihm von der britischen Tory–Presse gestellte Frage zu Labours Abrüstungspolitik entgegnet er, er werde einer La bour–Regierung solche „schwerwiegenden Fehler“ austreiben. Damit haben die Boulevardblätter und Frau Thatcher das, was sie haben wollten: die einen eine saftige Titelgeschichte für die nächste Ausgabe, die anderen den Segen aus Washington für ihre Angriffe auf Labours Verteidigungspolitik einseitiger nuklearer Abrüstung. Breitseite für Kinnock Am nächsten Morgen, pünktlich zu Neil Kinnocks Pressekonferenz, prangt dann ein riesiges Cartoon auf der Titelseite der Murdoch–Zeitung Sun, auf dem ein bis an Zähne bewaffneter russischer Bär den mit einer Steinschleuder ausgerüsteten Neil Kinnock am Boden zertritt. Auf ihrer Pressekonferenz portraitieren die Tories Kinnock als Sicherheitsrisiko. Dabei argumentiert dessen Labour Partei doch nur, daß sich Großbritannien die Modernisierung seiner atomaren U–Boot– Flotte nicht mehr leisten kann und deswegen besser konventionell aufrüsten sollte. Neil Kinnock kann seine Pläne für den kränkelnden Gesundheitsdienst für diesen Morgen vergessen, auch die vier Millionen Arbeitslosen scheinen - zumindest für die Presse - über Nacht vom Erdboden verschwunden zu sein. Wie Artilleriefeuer prasseln die Fragen der Reporter auf ihn nieder. Was tut Labour, wenn der Russe morgen nach der Drohung mit einem Atomschlag hier einmarschiert? Zum Zeichen der Aufgabe seine Hände heben, wie es ein Wahlplakat der Tories suggeriert? Die Angst der Tories Die Angst des britischen Establishments vor dem Sozialismus ist so alt wie die Idee selbst. Sobald der Gedanke progressiver Veränderung des Status quo am Horinzont der Opposition auftaucht, wird die vereinigende Ideologie des Nationalismus aus der Schublade der Geschichte hervorgekramt; sei es gegen den Feind von außen - wie 1983 die Argentinier und sonst die Russen - oder gegen den Feind von innen - wie 1983 die Friedensbewegung, 1984 Arthur Scargills streikende Bergarbeiter oder in diesen Tagen die linken Stadträte in den roten Rathäusern der britischen Großstädte. Diese konservative Strategie, die Linke als Sicherheitsrisiko und sich selbst als die Bewahrer der Nation aufzuspielen, hat sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert nur unwesentlich verändert. Als voller Erfolg dieser Strategie stellte sich im nachhinein die von den Tories 1975 vorgenommene Wahl der Tochter eines Kolonialwarenhändlers zu ihrer Anführerin heraus; für das (Partei–)Establishment versteht sich, nicht unbedingt für die Nation und schon gar nicht für deren unterstes Drittel. Als Emporkömmling war Frau Thatcher das passende Vehikel zur Verkörperung der Ideale einer rasch anwachsenden und materiell aufstrebenden Mittelklasse. Sie besaß genug politische Durchsetzungsfähigkeit, die verfassungsmäßige Praxis kollektiver Kabinettsentscheidungen binnen weniger Jahre in ein Präsidialsystem zu verwandeln, das häufig autokratische Züge annahm, weil ihm die entsprechenden „checks and balances“ fehlten. Sie besaß die Weitsicht, den gesamten Verwaltungsapparat und den Dschungel der Geheimdienste unangetastet zu lassen. Ja, sie besaß sogar die nötige Skrupellosigkeit, um letztere wenn nötig zur Sicherung des eigenen Machterhalts einzusetzen. Und sie hatte den richtigen Draht zu ihrem ideologischen Blutsbruder in den Vereinigten Staaten und dessen Ideenfabrikanten.