Privatisierung in Frankreich: Rentiers im Angebot

■ Der Ausverkauf staatlicher Unternehmen produziert massenweise Kleinaktionäre / Belegschaftsanteile finden nicht genügend Abnehmer / Der „Volkskapitalismus“ stärkt die Macht der Großbanken / Die Zukunft des Börsenenthusiasmus ist ungewiß / Französische Aktien werden zum Leckerbissen für ausländische Finanz–Yuppies

Von Alexander Smoltczyk

„Wir werden dieses Land führen, eine Börse in der einen Hand, eine Peitsche in der anderen.“ Mit dieser Politik eröffnete einst Napoleon III das Spekulationsfieber des Second Empire, den Reigen der Börsendandys, Hochstapler und Bankrotteure, die ihren Tag in der „Corbeille“, der Pariser Börse, begannen und in den Salons beendeten. Heute sorgt Polizeiminister Pasqua fürs Grobe, während sein Kollege Balladur die Aktien der Staatsunternehmen mit vollen Händen unters Volk bringt. „Enrichissez–vous“ - „Bereichert euch!“ beim größten Börsenspiel der europäischen Finanzgeschichte! Ausverkauf in Frankreich: zu haben ist alles, vom Industriekonzern über Versicherungen und Banken bis zum Fernsehsender. Insgesamt 65 Firmen, darunter Giganten wie Saint Gobain oder die CGE, der Siemens der anderen Rheinseite. Ein 250 Mrd. Franc– Coup verteilt auf fünf Jahre. Das ist das Dreifache dessen, was Maggie Thatcher zu privatisieren wagte, aber jetzt in der halben Zeit. An Wagemut steht Eduard Balladur dem Hasardeur Napoleon III in nichts nach: Es ist keineswegs sicher, daß der französische Kapitalmarkt liquide genug ist, um alle Aktien aufnehmen zu können. 50 Mrd. Franc an Neu–Emissionen im Jahr, das ist fast soviel wie noch 1985 an neuen Aktien insgesamt gekauft wurde. Der Aktienmarkt in Frankreich gilt als klein, denn die Unternehmen gingen selten an die Börse, weil sie vom Staat mit billigen Krediten versorgt wurden. Selbst wenn ein Teil der Aktien problemlos auf den internationalen Finanzmärkten untergebracht werden kann, wo die Anla gen als erstklassig gelten, so ist Balladur doch gezwungen, die bislang risikoscheuen Franzosen an die Börse zu locken. Zwar gilt es in Paris schon seit der Regierung Fabius als schick und modern zu spekulieren. Doch um sicherzugehen, wurden die ersten Verkäufe von Saint Gobain, Paribas und der CGE von dröhnenden Werbekampagnen begleitet. Außerdem wurden die Verkaufspreise sehr günstig angesetzt. „Schleuderpreise“ nannten es die Sozialisten, die eben diese Betriebe 1982 verstaatlicht hatten, um sie dann mit Staatsknete zu modernisieren, bis die Kassen leer waren. Aber ihre Proteste hatten natürlich genau den gegenteiligen Effekt: jetzt wußte auch der letzte, daß hier ein Schnäppchen zu machen war. Frankreich plünderte seine Sparkonten (40 Mrd. Franc sollen den Sparkassen abgezogen worden sein). Die Große Nation schien sich in eine Masse von Kleinaktionären zu verwandeln. Die Nachfrage übertraf das Angebot um das Zehnfache, so daß die Aktien rationiert werden mußten. Dennoch sah sich das Management von Gobain plötzlich 1,6 Millionen Teilhabern gegenüber. Und Paribas, die größte Finanzholding des Landes, wurde gar von 3,8 Millionen Franzosen gekauft. Bisher sah sich keiner von ihnen enttäuscht: der Kurs der Saint Gobain Aktie ist innerhalb eines halben Jahres um die Hälfte gestiegen. „Der Volkskapitalismus funktioniert“, kommentierte der Nouvel Observa teur, die linksliberale Wochenzeitung Frankreichs. Hat sich damit der Bürgertraum einer „Bourgeoisie ohne Proletariat“ (Bourdieu) erfüllt? Nicht ganz. Eine kürzlich erschienene Umfrage ergab, daß der typische Kleinaktionär 1987 relativ wohlhabend, alt und Stadtbewohner ist. Und tatsächlich hatte die Aktionärsversammlung von Saint Gobain in diesem Jahr deutliche Ähnlichkeit mit einem Witwernball. Ein Zehntel der Anteile bei den Belegschaften unterzubringen, wie es das Gesetz vorsieht, hatte sich als unmöglich herausgestellt: dort saß das Geld nicht so locker. Aber auch die Broker in London waren mit dem bunten Aktionärsgetümmel nicht zufrieden. Weil jetzt der Staat als Bürge ausfiel, stuften sie kürzlich eine Euro–Anleihe der Paribas als riskant ein. Doch was wiegt das gegenüber der Tatsache, daß in diesem Jahr die Privatisierung 45 Mrd. Franc in die Staatskassen strömen lassen wird? Ob dieses Manna verwendet wird, um die darbende Wirtschaft anzukurbeln, steht noch dahin: auch Chirac hat in Balladur seinen Stoltenberg, der den Staat lieber entschuldet sehen möchte. Ob es dazu wirklich kommt, steht auf einem anderen Blatt. Denn die Privatisierung hat, bei allem PR– Rummel, auch ihre Schattenseiten. Wie etwa sollen die Sparkassen noch Chiracs Wohnungsbau finanzieren, wenn ihre Einlagen abgezogen werden und an die Börse fließen? Sie müßten den Einlagenzins erhöhen, was wiederum die Konjunktur dämpfen würde. Die profitable Verwaltung der Aktienportefeuilles dagegen ist das Geschäft der Großbanken. Und wie sollen sich kleine Firmen mit Eigenkapital versorgen, wenn die französischen Anleger die Balladur–Aktien bevorzugen? Es werden die ausländischen Finanzgruppen sein, die sich dann mit Beteiligungen in Frankreich eindecken. Nichts ist einfach, und schon gar nicht im Börsenspiel! Niemand weiß, wie die Masse der neuen Spekulanten sich verhalten wird: Werden sie ihre Anteile verkaufen, solange die Kurse noch hoch sind, wie nicht wenige befürchten? Gar mancher wird sich beim ersten Baisse–Windstoß aus der rauhen Welt des Finanzkapitals zurückziehen. Und die Zeichen stehen auf Sturm: Die Investitionen stagnieren, dafür steigen die Preise wieder, und die Arbeitslosigkeit wird bis Ende des Jahres bei 2,8 Mio liegen. Zu allem Überfluß steigen auch die Zinsen in den USA wieder. Das kühlt die Börsenstimmung in Europa. Nächstes Jahr sollen, nach dem Willen der EG, die nationalen Kapitalmärkte auch für Ausländer frei zugänglich werden. Dann würden sich die Finanzyuppies aus New York und Tokio auf die französischen Aktien stürzen. Wenn es Frankreich bis dahin nicht gelingt, zumindest einen Teil der neuen Aktionäre an der Börse zu halten, wäre seine Wirtschaft den Dollarlaunen und Anlagemanövern der Yen–Yuppies und Chicago–Boys noch stärker ausgeliefert. Sollte Balladur sich verspekuliert haben?