I N T E R V I E W Skepsis und Sorge über Volkszählung

■ Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, über die Volkszählung

taz: Romani Rose, wie reagieren Sinti und Roma auf die gegenwärtig stattfindende Volkszählung? Romani Rose: Wir haben die Erfahrung gemacht, daß sehr viele Sinti und Roma hier beim Zentralrat anrufen und ihre Skepsis und Sorgen über die Volkszählung zum Ausdruck bringen. Begründet wird diese Sorge vor allem immer wieder mit den Erfahrungen im Dritten Reich, wo Sinti und Roma auch einer Zählung unterlagen und nach dieser Erfassung 1939 ihren Wohnort nicht mehr verlassen durften und später in die verschiedenen Ghettos und Vernichtungslager des Ostens deportiert wurden. Die Bundesrepublik ist nicht das Dritte Reich, aber man darf die Sorgen und Erfahrungen dieser Menschen nicht einfach wegwischen. Sinti und Roma haben immer sehr empfindlich auf Sondererfassungen reagiert, die ja während des ganzen Bestehens der Bundesrepublik ihnen gegenüber stattfanden. Wir haben deshalb sehr empfindlich reagiert, weil es der Rechtsstaat verbietet, daß Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit erfaßt werden. Artikel 3 des Grundgesetzes baut darauf auf. Die Behörden der Bundesrepublik haben in Bezug auf Sinti und Roma dagegen bruchlos die Sondererfassung unserer Minderheit auf der Grundlage alter NS–Unterlagen durchgeführt. Da muß es wohl nicht verwundern, daß wir sehr bewußt auf jede Art von Datensammlung reagieren. Der Zentalrat hat anläßlich der geplanten Volkszählung 1983 Sinti und Roma aufgerufen, sich der Befragung zu verweigern. Was raten Sie den Mitgliedern ihrer Bevölkerungsgruppe bei der jetzigen Volkszählung? Wir haben klar zum Ausdruck gebracht, daß wir selbstverständlich Verständnis haben, wenn Menschen aufgrund ihrer Erfahrung sich der Volkszählung verweigern. Als Zentralrat können wir aber selbst nicht zum Volkszählungsboykott aufrufen. Bundeskanzler Kohl hat kürzlich Volkszählungsgegner in eine Reihe mit Faschisten gebracht. Was sagt dazu der Vorsitzende eines Verbands von Menschen, die die Verfolgungen der Nationalsozialisten direkt erlitten? Ich halte diese Äußerung des Herrn Bundeskanzler Kohl für sehr bedauerlich, weil sie an historischen Gegebenheiten und historischer Verantwortung vorbeigeht. Gerade durch die Erfassung der Nationalsozialisten und die damalige Volkszählung wurde der Holocaust an jüdischen Menschen und der Völkermord an Sinti und Roma ermöglicht. Hier sollte ein Bundeskanzler Verständnis aufbringen, versuchen, die Ängste und Sorgen dieser Menschen zu verstehen, und darf sie nicht in eine Ecke mit dem Nationalsozialistischen Verbrechersystem stellen. Das Gespräch führte Rolf Gramm