Grüne debattieren über Gewalt

■ Bundestagsfraktion diskutierte vier Stunden / Haltung zum Gewaltmonopol weiterhin umstritten Kein Beschluß gefaßt / Schily fordert Staatdiskussion auf eigens angesetzter Klausurtagung

Von Oliver Tolmein

Bonn (taz) - Zu einem Beschluß kam es bei der gestrigen, vier Stunden dauernden Debatte der grünen Bundestagsfraktion über „Gewalt“ nicht. Initiiert wurde das Thema von den Realpolitikern in der Partei. Zwar sprach sich die überwiegende Mehrheit der RednerInnen gegen militante Aktionen aus, etliche von ihnen erklärten aber auch, sie seien nicht bereit, sich einen Distanzierungszwang auferlegen zu lassen. Umstritten blieb in der weitgehend emotionslos geführten Debatte die Haltung zum staatlichen Gewaltmonopol. Während dieses für Otto Schily „unverzichtbarer Bestandteil des rechtstaatlichen Konsenses ist“, stellte Thomas Ebermanns Mitarbeiter Matthias Küntzel fest, der Staat setze sein Gewaltmonopol überwiegend ein, „um die sozialen Bewegungen zu disziplinieren“. Christa Nickels vertrat, wie einige andere, eine Zwischenposition und bezeichnete es als „schwierig“, das Gewaltmonopol anzuerkennen, „wenn jeden Tag vorgeführt wird, wie Leute den Staat zu ihrer Beute machen, um beispielsweise den Bau von Atomkraftwerken durchzusetzen“. Eröffnet wurde die Debatte von Thomas Ebermann, der in einem Kurzreferat Positionen zur Gewalt von Günther Anders über Theo Ebert, Rosa Luxemburg und Jürgen Habermas bis zu Helmut Gollwitzer umriß. Die Grünen, so Ebermann, seien eindeutig auf den gewaltfreien Weg festgelegt, damit müßten sie aber noch lange nicht gesetzesloyale BürgerInnen sein: „Wenn wir uns über diesen Rahmen einig sind, dannn können wir darin sowohl Ansätze wie den von Günther Anders, oder auch solche wie die von Gandhi und Gollwitzer zulassen. Auf jeden Fall lasen wir uns nicht vom Staat vorschreiben, was legitim ist und was nicht.“ In einem Papier zur Gewaltdebatte hatte Ebermann außerdem vorgeschlagen, „unser mehrheitliches Stimmverhalten (Zustimmung, Enthaltung) zum SPD–Antrag zur Gewaltdebatte im Bundestag“ zu reflektieren. In dem SPD–Antrag war „der Rechtsbruch in der politischen Auseinandersetzung“ scharf verurteilt worden. In der Gewaltdebatte der Bundestagsfraktion wurde dieses praktische Abstimmungsverhalten der Fraktion aber nicht thematisiert. Einen anderen Ansatz für die Debatte schlug Antje Vollmer vor, die das Datum des Tages, den 2. Juni, zum Anlaß nahm zu fragen: „Was wäre anders geworden, wenn am 2. Juni nicht geschossen worden wäre?“ Bis zu diesem Schuß auf Benno Ohnesorg sei die Studentenbewegung strikt gewaltfrei gewesen, danach habe sie sich als Opfer gesehen und daraus die Legitimation für eine Militanz aus Notwehr bezogen. Auch angesichts der heutigen Bedrohungen sei es „äußerst naheliegend“, darauf zu kommen, gewaltsam Widerstand zu leisten. Hubert Kleinert, der direkt im Anschluß sprach, versuchte eine andere Fragestellung in den Vordergrund zu rücken. Ihm gehe es, so Kleinert, im Kern darum, welche moralische Rechtfertigung für Regelverletzungen es in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik gebe. An die Praxis des zivilen Ungehorsams müsse ein sehr strenger Maßstab angelegt werden. Petra Kelly kritisierte in ihrem Beitrag, daß die Grünen für die Entwicklung einer gewaltfreien Widerstandskultur viel zu wenig täten: Weder gebe es gewaltfreies Training noch würden offensiv Konsumenten– oder Steuerboykott betrieben. In eine ähnliche Kerbe hieb Karitas Hensel, die außerdem bedauerte, daß es in der ganzen Diskussion keine Klärung der Begriffe gegeben habe: „Was ist denn gewaltfrei und was gewalttätig?“ Otto Schily wies darauf hin, daß „der Staat in der Diskussion wie ein uns fremdes Wesen“ behandelt werde: „Hier wird so getan, als sei der Staat immer der andere.“ Deswegen sei bei den Grünen dringend eine Staatsdiskussion erforderlich: „Am besten auf einer Fraktionsklausur ohne Kameras.“ Aus praktischen Gründen argumentierte Verena Krieger für einen gewaltfreien Widerstand: Steinewerfen und Bauzäune einreißen sei nicht weniger symbolisch als zu blockieren oder zu demonstrieren. Diese Absage an militante Aktionen aus praktischen Erwägungen bedeute aber nicht, daß man sich von den Autonomen distanzieren müsse - allerdings müßten diese auch Kritik an ihren Aktionsformen akzeptieren. Dagegen behauptet Gerald Häfner, militanter Widerstand und nicht die Distanzierung der Grünen davon, spalte die Bewegung.