Bothas aufgeweichte Apartheid

■ Während die Ultrarechten Südafrikas strikt an den alten Apartheid–Plänen festhalten, weiß man in Bothas Nationaler Partei, daß die „reine“ Apartheid nicht durchzusetzen ist / Nach dem Wahlsieg soll verstärkt das komplizierte und teure „Reformprojekt“ verwirklicht werden, ohne die Kontrolle der Weißen aufzugeben

Aus Johannesburg Hans Brandt

„Wir wollen nur von unseren eigenen Leuten regiert werden, nur von Weißen“, donnerte Andries Treurnicht, Führer von Südafrikas ultrarechter Konservativer Partei (CP) vor wenigen Wochen bei einer Wahlveranstaltung. Die in der einen oder anderen Form ständig wiederholte Forderung fand bei etwa 600.000 der drei Millionen weißen Wähler in ihrer exklusiven Wahl Anfang Mai Gefallen. Als größte Oppositionspartei im weißen Parlament kann die CP nun den Druck auf Präsident P.W. Bothas regierende Nationale Partei (NP) noch verschärfen. Für Botha ist das, als ob er von einem Gespenst aus der eigenen Vergangenheit heimgesucht wird. Auch er glaubte in seiner Jugend fest an die noch heute von der CP verteidigte alte Politik der „getrennten Entwicklung“, wie sie vom Apartheid–Vordenker H.F. Verwoerd in den späten fünfziger Jahren formuliert wurde. Verwoerd, der von 1958 bis zu seiner Ermordung 1966 Südafrikas Premierminister war, hatte sich eine überraschend simple und unglaublich grausame Lösung für das „schwarze Problem“ ausgedacht. Um die heute knapp fünf Millionen Weißen vor der „Überflutung“ durch die „schwarze Gefahr“ der mehr als 20 Mio. Schwarzen zu schützen, sollten alle Schwarzen einfach ausgebürgert werden. In Stammesgruppen aufgeteilt, sollten sie in zehn verschiedene Reservate, die „Homelands“, zwangsumgesiedelt werden. Die Homelands, deren Landgebiet etwa 13 Prozent der Gesamtoberfläche des Landes ausmacht, sollten dann „unabhängige Staaten“ werden, mit eigenen Regierungen und eigener Industrie. Tatsächlich sind schon vier Homelands (Transkei, Venda, Bophuthatswana und Ciskei) in die „Unabhängigkeit“ entlassen worden, ein fünftes, Kwandebele, will in diesem Jahr „unabhängig“ werden. Diese Tendenz will die CP mit allen Mittel vorantreiben. Verwoerds alte Apartheid - heute unrealistisch Die NP–Regierung andererseits ist seit Anfang der achtziger Jahre der Meinung, daß die „große Apartheid“ nach Verwoerds Muster unmöglich zu verwirklichen ist. Die Homelands sind allesamt ärmliche ländliche Gebiete, in denen wirtschaftliche Entwicklung unmöglich ist. „Wir haben früher geglaubt, daß die Entwicklung von unterentwickelten Gebieten ziemlich einfach ist“, sagt NP–Informationsminister Stoffel van der Merwe. Die Anziehungskraft wirtschaftlicher Entwicklung in den Homelands würde eine Völkerwanderung der Schwarzen „zurück in ihre eigenen Gebiete“ zur Folge haben. Stattdessen flohen immer mehr Schwarze vor der hoffnungslosen Armut in den überbevölkerten Homelands in die Städte - den scharfen Paßgesetzen, die den Zuzug der Schwarzen in „weiße“ Gebiete zu kontrollieren versuchten, zum Trotz. „Es wird heute geschätzt, daß nicht mehr als etwa 40 Prozent der Schwarzen letztendlich in schwarzen Gebieten untergebracht werden können“, sagt van der Merwe. Die NP akzeptiert also, daß 60 Prozent aller schwarzen Südafrikaner permanent im „weißen“ Südafrika leben. Auf diese Neuinterpretation der südafrikanischen Verhält nisse gründen sich Bothas „Reformbemühungen“. Den überwältigenden Wahlsieg im Mai, der seiner Regierung eine noch vergrößerte Zweidrittelmehrheit bescherte, interpretiert Botha als Mandat der weißen Wähler, seine „Reformpolitik“ endlich konsequent durchzuführen. Der Schutz weißer Macht und Privilegien bleibt weiter zentrales Ziel der NP–Politik. Getrennte Strukturen für verschiedene Ras– sen werden weiter ausgebaut. Wie schon so oft in der Geschichte der Apartheid ist allerdings die Terminologie geändert worden. Jetzt ist die Rede von „Gruppen“: Weißen, Mischlingen, Indern, und verschiedenen schwarzen „Gruppen“, beispielsweise Zulus und Tswanas. „Es darf nie die Dominanz einer Bevölkerungsgruppe über eine andere geben“, ist das Schlagwort des NP–Programmes. Parallel zur Aufteilung in „Gruppen“ läuft die Einteilung in „eigene“ und „allgemeine Angelegenheiten“. Im derzeitigen, in drei getrennte Kammern für Weiße, Mischlinge und Inder aufgeteilten Parlament gibt es zum Beispiel drei getrennte Bildungsministerien, drei Bauministerien, drei Gesundheitsministerien. Jede „Gruppe“ soll in vollkommener Autonomie über ihre „eigenen Angelegenheiten“ entscheiden können. Über „allgemeine Angelegenheiten“, dazu gehören zum Beispiel Verteidigung und die Außenpolitik, soll hingegen in Konsultationen zwischen den verschiedenen „Gruppen“ entschieden werden. Bei „gemeinsamen Angelegenheiten“ wird nicht abgestimmt, sondern es muß Konsens erreicht werden. Ist das nicht möglich, liegt die Entscheidung beim Staatspräsidenten, und der ist selbstverständlich weiß. Auf allen Ebenen kontrollieren die Weißen außerdem die Finanzen. Homelands und Stadtstaaten Wie genau die Strukturen der Zukunft aussehen werden, weiß allerdings selbst die Regierung noch nicht. Botha betont immer wieder, daß „hinter den Kulissen“ umfassende Verhandlungen mit „schwarzen Führern“ über die Zukunft des Landes stattfinden. Er gibt nicht gerne zu, daß diese Führer die von der schwarzen Mehrheit als Kollaborateure verrufenen Führer der „unabhängigen“ Homelands und der schwar zen Stadtverwaltungen in den Townships sind. Trotz allem lassen sich jedoch erste Umrisse der geplanten Strukturen ausmachen. Die Homelands werden weiter bestehen, ihre „politische Unabhängigkeit“ wird weiter angestrebt. Allerdings soll kein Homeland in die „Unabhängigkeit“ gezwungen werden. Mit der Zeit sollen immer mehr politische und Verwaltungsfunktionen an die Homelands übertragen werden, sodaß sie immer mehr „Autonomie in der Entscheidung über ihre eigenen Angelegenheiten“ erhalten. Ähnlich soll die „Dezentralisierung der Macht“ auch den schwarzen Stadtverwaltungen immer mehr Zuständigkeiten übertragen. Townships wie Soweto könnten selbst „politisch unabhängige Stadtstaaten“ werden. Lokale und regionale Verwaltungen Die Township–Verwaltungen kümmern sich um die „eigenen Angelegenheiten“ ihrer Einwohner. „Allgemeine Angelegenheiten“ auf lokaler Ebene sollen in Zukunft in Konsultationen mit anderen Lokalverwaltungen in den „regionalen Dienstleistungsräten“ (RSCs) besprochen werden. Die RSCs sind zuständig für eine nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten definierte Region, zu der neben schwarzen, weißen, farbigen und indischen Lokalverwaltungen auch Teile von Homelands gehören können. Sie kümmern sich um regionale Planung von Wasser–, Strom– und Transportversorgung und den Ausbau der Infrastruktur. Zur Finanzierung der RSCs sind neue Umsatzsteuern eingeführt worden. Damit sollen vor allem Gelder gesammelt werden für die Verbesserung der Infrastruktur in den Townships. Die Vertretung in den RSCs ist jedoch so arrangiert, daß die grö– ßten Abnehmer der Dienstleistungen die meisten Stimmen haben. Die weißen Stadtverwaltungen, zu denen auch die wichtigsten Industriegebiete gehören, werden also dominieren, obwohl sie zahlenmäßig weniger Konsumenten vertreten. Die ersten RSCs werden am 1. Juli die Arbeit aufnehmen. Auf der Ebene der vier südafrikanischen Provinzen sind inzwischen die exklusiv weißen Provinzialverwaltungen durch sogenannte „Exekutivkomitees“ ersetzt worden. Die vier bis fünf Mitglieder dieser Komitees werden vom Staatspräsidenten ernannt. In der Provinz Transvaal sind es beispielsweise zwei Weiße, ein Schwarzer, ein Mischling und ein Inder. Die Komitees befassen sich mit „allgemeinen Angelegenheiten“. Sie können wiederum gemeinsame Sache mit Homeland–Regierungen in ihrer Provinz machen, indem sie eine „Gemeinsame Exekutivbehörde“ bilden. Das Homeland KwaZulu und das Exekutivkomitee der Provinz Natal werden die erste derartige Behörde demnächst bilden. Auf nationaler Ebene sind Schwarze bisher noch gar nicht vertreten. Hier wird jedoch ein „Nationaler Rat“ geplant, der in diesem Jahr per Gesetz gegründet werden soll. In dem Rat sollen neben den drei im Parlament vertretenen „Gruppen“ auch die Homeland–Regierungen für Konsultationen über „gemeinsame Angelegenheiten“ herangezogen werden. Vorsitzender dieses Rates soll der Staatspräsident sein. Wie genau die 60 Prozent der Schwarzen, die nicht in den Homelands wohnen, in diesem Rat vertreten sein sollen, steht noch nicht fest. Ein „unabhängiges“ Soweto hätte den gleichen Status wie ein „unabhängiges“ Bophuthatswana, würde also Vertreter direkt in diesen Rat entsenden. Wenn alles klappt, könnte es in Zukunft wirklich Schwarze im südafrikanischen Kabinett geben. Die wären allerdings kaum repräsentativ. Demokratie gehört nicht zum geplanten System. Immer mehr Macht wird dem Staatspräsidenten übertragen. Gleichzeitig werden Funktionäre auf allen Ebenen des Konstrukts eher angestellt als gewählt. So sind die Homeland–Regierungen zum großen Teil angestellte „traditionelle Führer“. Und die schwarzen Stadträte kamen in Wahlen an die Macht, an denen sich weniger als zehn Prozent der Bevölkerung beteiligten. Die Reformstrategen halten es für besser, das System erst aufzubauen und es erst zu „demokratisieren“, wenn es stabil ist.