Berlin ist für die Grünen heißes Pflaster

■ Nach dem Entschluß der Grünen Bundestagsfraktion, am 17. Juni in Berlin zu tagen, kam jetzt die Ausladung durch die Berliner Alternative Liste / „Der Reichstag steht für die Hauptstadt im Wartestand“

Aus Bonn Ursel Sieber

Wohin am 17. Juni, dem offiziellen „Tag der deutschen Einheit“? Diese Frage beschäftigt die Grünen seit Wochen heftig. Sollen sie nach Berlin(West), um im Reichstag über Deutschlandpolitik und Friedenspolitik seit Gorbatschow zu diskutieren? Vor zwei Wochen wurde entschieden: Wir fahren nach Berlin, aber nicht in den Reichstag. Die Flugtickets waren schon bestellt, als am Dienstag ein Brief der Alternativen Liste Berlins ins Haus flatterte, um die Bonner Fraktionäre auszuladen: Die Absicht, gerade am „Tag der deutschen Einheit“ zum ersten Mal nach Berlin in den Reichstag zu reisen, offenbare „ein tiefes Unverständnis“. Traditionelle Deutschlandpolitik stütze sich „mit Vorliebe auf Symbole“. Berlin sei die „offene Wunde“, „der Reichstag steht für die Hauptstadt im Wartestand“, und der 17. Juni werde eben „als Tag der deutschen Einheit gefeiert“. Trotz des Bekenntnisses zur Zweistaatlichkeit ordne sich die Fraktion damit „in die von allen anderen Parteien betriebene Deutschlandpolitik ein“. Und eindeutig heißt es in dem Schreiben der Al am Schluß: „Die jetzt vorgesehene Reise findet nicht unsere Zustimmung, dies auch unabhängig davon, ob vielleicht noch ein anderer Ort für die Diskussion in West–Berlin gefun den werden kann.“ Also stand am Dienstag das Thema 17. Juni erneut auf der Tagesordnung der Fraktionssitzung. Otto Schily emfand den Stil des Briefes als unangenehm „autoritär“ und forderte erneut, „die historische Folie des Reichstags“ für die Grünen am 17. Juni zu nutzen. Helmut Lippelt, ebenfalls zu den „Realos“ zählend, sagte, im Reichstag hätte auch Rosa Luxemburg gesessen, die Nazis hätten den Reichstag als „Quasselbude“ beschimpft, und er sehe diesen Ort als Möglichkeit, „verschüttete Traditionen für die Grünen zu gewinnen“. Man müsse aber die Voten der Landesverbände akzeptieren, und deshalb sollten die Grünen in ihr schönes Bonner Tagungshaus Wittgenstein fahren. Im Reichstag sehe sie „keinen Anknüpfungspunkt für die Grünen“, hielt Antje Vollmer dagegen, und wenn die AL die Grünen in Berlin nicht sehen wolle, sollte die Fraktion eben am 17. Juni in Bonn diskutieren. Jutta Oesterle–Schwerin meinte, man könne am 17. Juni nicht nach Berlin fahren und den Symbolwert „Wiedervereinigung“ ignorieren. Sie beantragte sarkastisch, im Falle eines Falles auch an der Mauer einen Kranz niederzulegen. Aber soweit kam es nicht: Die Fraktion beschloß, im vertrauten Wittgenstein zu bleiben und bestellte die Flugtickets wieder ab.