Die Atomlobby rüstet zur Offensive

■ Bei ihrem Jahrestreffen zeigt sich die bundesdeutsche Atomlobby von Tschernobyl unbeeindruckt

Gerade ein Jahr ist seit Tschernobyl vergangen, strahlendes Cäsium ist bei der Aufnahme von Nahrung zum Alltag geworden. Tschernobyl war aber auch ein Super–Gau im öffentlichen Ansehen der deutschen Atomindustrie. Die Jahrestagung „Kerntechnik“, gewissermaßen das nationale Treffen aller deutschen Atomspezialisten, seit Dienstag in Karlsruhe, hat im wesentlichen ein Thema: die Stärkung des e

Karlsruhe ist vielleicht der geeignetste Ort, die bundesdeutsche Atomlobby zu empfangen. Die Geometrie der badischen Residenz und Beamtenzentrale soll einem Markgrafen Karl Wilhelm von Baden–Durlach im Traum gekommen sein. Viel ist davon nach dem letzten Weltkrieg nicht übriggeblieben. Deutsches Zentrum der Macht blieb Karlsruhe aber allemal. Die Herren der Strafverfolgung und der Bundesgerichtshof residieren in der Herrenstraße, gegenüber der Schloßresidenz logiert das Bundesverfassungsgericht. Nur wenig außerhalb Karlsruhes liegt das Deutsche Kernforschungszentrum, neben Jülich wohl die Wiege der deutschen Atomindustrie. Wenn deren Vertreter sich jetzt gewissermaßen an ihrem Geburtsort treffen, dann mag die symbolische Hoffnung mitgespielt haben, zum Selbstbewußtsein vergangener Jahre zurückzukehren, und das an einem juristisch entscheidenden Ort. Kurs halten Heute mittag, nach ihren abschließenden Referaten, werden sich Atomphysiker, Radiologen, Strahlenmediziner, Kraftwerksplaner–, -bauer, -nutzer und ihr Management einig sein, daß von dem bisherigen Kurs der Atomindustrie, der Schnellen Brüter, der Wiederaufarbeitungsanlagen, der Zwischen– und Endlager von hochradioaktiv strahlendem Müll - auch wenn der Widerstand dagegen noch so groß werden sollte - nicht abgewichen werden darf. Die Bundesregierung und die Politiker CDU–regierter Länder weiß man da hinter sich. Was noch fehlt, ist das Volk. Was da zu tun ist, weiß Prof. Maier–Leibnitz von der Technischen Universität München: Rhetorik. Rhetorik, so der Professor, ermögliche es, „rationalen Argumenten ihren Platz zuzuweisen, um ein Publikum zu überzeugen, dessen Werte und Emotionen zu korrigieren“. Man sieht wieder nüchtern Was will die Atomindustrie? „Der nukleare Himmel der 50er Jahre hing voller Geigen, man träumte von der - natürlich nuklear versorgten allelektrifizierten Welt“, meint der Vorstandsvorsitzende der Kraftwerksunion, Dr. Klaus Barthelt, zu Beginn seiner Rede über die Entwicklungsperspektiven der Nuklearindustrie. Dann folgten die Retardierung, Kostensteigerungen, politische und administrative Hemmnisse und die „öffentliche Auseinandersetzung mit Maschinenstürmern“. Die Atomenergie ist zum „Antisymbol des sogenannten ökologisch, alternativ und basisdemokratisch orientierten neuen Fühlens“ geworden. Verstandesmäßigen Nachprüfungen hätte dieses Fühlen natürlich nicht standgehalten, doch die Euphorie der ersten Jahre sei verflogen. Am 26.April vergangenen Jahres dann sei die „Welt der Kernenergie völlig aus den Fugen geraten“, folgten die Parteitagsbeschlüsse der SPD und die Ausstiegsbeschlüsse des DGB. Heute, so der Referent, seien Emotionen wieder abgeklungen, man beginne wieder nüchterner zu sehen. Die Ängste nach Tschernobyl hätten sich nicht in politisches Kapital ummünzen lassen. Wer aussteigt, so Herr Barthelt, nehme volkswirtschaftliche Nachteile in Kauf, vergibt die Möglichkeit, an der Sicherheit ausländischer Reaktoren mitzuarbeiten und handle gegen die Interessen der Arbeitnehmer. Überhaupt, die Opfer von Tschernobyl seien ja gering, 30 Tote, und ein Ansteigen der europäischen Krebsrate von nur 0,1 obwohl in Tschernobyl ideale Bedingungen für die Freisetzung atomarer Strahlen bestanden hätten. Grund also zu strahlendem Optimismus. Die Uranausbeute, so der Experte, sei auf Jahrzehnte gesichert, die Urananreicherung ebenso, der Weltmarkt für Brennelemente ist gesund, und die Entsorgung strahlenden Materials sei trotz aller Widerstände von Kernenergiegegner gut vorangekommen. 400 Atomkraftwerke seien weltweit in Betrieb, es wächst der Service–Markt. Nur der mangelnde Auftragseingang für neue Atomkraftwerke macht dem Hersteller KWU noch Sorgen. Zwei oder drei Atommeiler werden, so der Referent, in den kommenden Jahren in der BRD wohl noch dazukommen - mit der Konvoiplanung, dem Anbau von 2. und 3. Blocks hätte man da gute Erfahrungen gemacht. Dann aber sei der Bedarf gedeckt. Wohin mit dem deutschen Know–how? Wohin aber dann mit all dem deutschen Know–how? In die Schwellenländer, nach China, Brasilien und Argentinien, weiß der Referent. Wenn die nur nicht dauernd Finanzierungsschwierigkeiten hätten. Überhaupt, ist es nicht geradezu eine Verpflichtung für die industrialisierten Staaten, an Schwellen– und Dritte–Welt– Länder solidarisch mitzudenken? Ganz abgesehen von der moralischen Verpflichtung für den Umweltschutz gegenüber qualmenden Kohlekraftschloten, für die Erhaltung der Wälder und gegen den Raubbau an fossilen Brennstoffen? Der Referent warnt: Hier weiß so mancher nicht, was er tut und was er an Verwirrung anrichtet. Die aber, die heute die Kernenergie bekämpfen, würden sich morgen aus der Verantwortung stehlen. Jetzt aber, so der Chef der niedersächsischen PreussenElektra, sei der Blick nach vorne zu rich ten, die „deutsche Kerntechnik muß sich aus der ihr aufgezwungenen Defensive befreien“, muß offensiv werden im „geistigen Ringen um ihre Nutzung“, mit Hilfe der veränderten „politischen Landschaft“. Die Kernenergiediskussion habe das ehemalige Grundverständnis der Energiepolitik in bedrohlichem Maß in Frage gestellt. Jetzt aber heißt es die „argumentativen Schwächen der Kernenergiekritiker“ zu nutzen. Die Risiken der Kernenergie schließlich, so der Chef der PreussenElektra, seien doch auch nicht höher als die vergleichbarer Großtechnologien. Nach Installation des „Wallman–Ventils“ seien doch Kernschmelzunfälle rein hypothetisch und eventuelle Evakuierungen kein Thema mehr. Der von Atomkraftgegnern an die Wand gemalte „Plutoniumstaat“, der Vorwurf militärischen Mißbrauchs, sei doch ein reines Phantom. Wirkliche Gefahren sieht der Referent dagegen aus dem Ausland nahen: Wie bitte solle man wohl dem Stromüberangebot aus Frankreich begegnen? Dietrich Willier