Tötung mit Vorsatz?

■ Im Frankfurter Sare–Prozeß beantragten die Nebenkläger, gegen die angeklagten Polizisten auch wegen „vorsätzlicher Tötung“ zu verhandeln

Aus Frankfurt Reinhard Mohr

„Es ist völlig klar, daß beide Angeklagte Günter Sare sehen mußten. Trotzdem sind sie weitergefahren und haben ihn getötet.“ Mit diesen Sätzen begründeten die Vertreter der Nebenklage im Frankfurter Sare–Prozeß gegen zwei Polizeibeamte, denen bislang noch die „fahrlässige Tötung“ eines Demonstranten vorgeworfen wird, den Antrag auf Ausweitung der Anklage auf „vorsätzliche Tötung“. Dieser Antrag in der Form eines „rechtlichen Hinweises“ braucht vom Gericht nicht umgehend entschieden zu werden. Im Verlauf des vierten Verhandlungstages vor der 31. Strafkammer des Frankfurter Landgerichts gegen die beiden Wasserwerferfahrer Hampl und Reichert bot die Zeugenaussage von Polizeiobermeister Züge, „Werfer“ in „WaWe 9“, zahlreiche Anhaltspunkte für die Vermutung, daß Sare nicht Opfer eines Unfalls gewesen war. Die Angeklagten hatten während einer Anti–NPD–Kundgebung am 28.9.85 Sare mit dem modernsten und größten Wassserwerfer, „WaWe 9“, überrollt und getötet. Auf dem berühmt–berüchtigten Foto, das Günter Sare allein im Strahl zweier „Wasserkanonen“ zeigt, erkannte der Zeuge Züge „seinen eigenen Strahl“ wieder. In groteske Widersprüche verwickelte er sich, als er die Fahrt von „WaWe 9“, die Sichtmöglichkeiten und den „Schußwinkel“ des von ihm gesteuerten Wasserstrahls rekonstruierte. Während der Fahrer, Angeklagter Hampl, von einer „völlig freien“ Kreuzung Frankenallee/ Hufnagelstraße gesprochen hatte - dort starb Günter Sare -, berichtete Züge von „Demonstrantenketten“, die er „erst wegspritzen“ mußte, bevor freie Bahn war. Fortsetzung Seite 2 Dann aber hat er niemanden mehr vor dem Fahrzeug gesehen. Gleichwohl zielte sein Strahl mit Leuchtscheinwerfer auf Sare. Bei der Angabe der verschiedenen „Schußwinkel“ - eine Skizze vom Tatort stand im Gerichtssaal - geriet er in offenen Konflikt mit Geometrie und Logik. Nachdem die Aussage des Polizeizeugen Züge noch bestätigte, daß die Todesfahrt von „WaWe 9“ tatsächlich dem mündlichen Einsatzauftrag „Unterstützen Sie die Kräfte im Kreuzungsbereich“ - widersprochen hatte und „die Verfolgung von Demonstranten durch die Hufnagelstraße“ (Züge) anpeilte, kam es zum Eklat. „Herr Reichert hat schon immer Schwierigkeiten mit den Bedienungsknöpfen gehabt“, sagte Züge über seinen Wasserwerfer–Kommandanten - der führt seit über zehn Jahren Einsätze und ist seit 1982 Wasserwerfer–Ausbilder der hessischen Polizei. „Bei Reichert dauert das Drücken des Hebelchens immer etwas länger als bei anderen Kommandanten“, versuchte Züge seine offensichtlich abgesprochene Zeugenaussage zu ergänzen. Sie kommt der schriftlichen Einlassung des Angeklagten Reichert vom Oktober 1985 entgegen, er sei kurz vor dem Überrollen Sares durch die Bedienungsarbeit für die Zumischung von CN–Gas einige Sekunden lang „abgelenkt gewesen“. Kurz zuvor hatte Züge auf Befragen der Nebenklage erklärt, schon nach einem dreiwöchigen Kurs habe er die Bedienung jener Knöpfe „blind“ bewerkstelligen können. Dafür wurde der Zeuge - auf Antrag der Nebenklage - nach Paragraph 55 StPO darüber belehrt, daß er sich nicht „selbst zu belasten brauche“, wenn er weiter aussage. Doch er blieb dabei: Wie alle anderen habe er nichts gesehen, nichts gehört und - nachdem Kommandant Reichert plötzlich gerufen haben soll: „Halt, ich glaube, wir haben einen erwischt!“ - nicht einmal die Idee gehabt, ihn zu fragen, woran er das denn gemerkt habe.