Der lange Abschied von „Papa Awo“ in Nigeria

■ Obafemi Awolowo, der charismatische Führer des Yoruba–Volkes im Südwesten Nigerias, kämpfte sein Leben lang für den verstärkten Einfluß seines Volkes in der nigerianischen Politik / Erst nach seinem Tod wird der Stammesfürst zum Nationalhelden gekürt

Aus Ibadan Knut Pedersen

In Ibadan, im Herzen des Yorubalandes, steht ein gläserner Sarg in flackerndem Kerzenlicht. Der letzte Schaukasten eines Mannes, der selbst nach seinem Tode noch öffentlich bleibt: Obafemi Awolowo. Zehntausende sind an dem eigens aus England herbeigeschafften Sarg vorbeigezogen, haben einen letzten Blick in das offene, in Nigeria jedermann vertraute Gesicht geworfen: „Papa Awo“ mit seiner runden Intellektuellenbrille und seinem unzerstörbaren ironischen Lächeln. Obafemi Awolowo wurde am 6. März 1909 in Ikenne im Südwesten Nigerias geboren, als traditioneller „Chief“ des Stammes, dessen Familie sich auf Oduduwa, den Gründer des Yoruba–Reiches beruft. Awolowo war zunächst Lehrer, Stenograph und Reporter, bevor er schließlich 1946 seine Karriere als Anwalt begann. Drei Jahre später gründete er in Ibada, der zweitgrößten Stadt Nigerias, seine eigene Zeitung, The Nigerian Tribune, die bis heute existiert, wurde zum Wortführer der Yoruba im Kampf um die Unabhängigkeit von Großbritannien und rief bereits 1951 seine eigene Partei ins Leben: die „Action Group“. Der Name war Pro gramm. 1954 wurde Awolowo Premierminister der Westregion und schließlich 1960, nachdem Nigeria unabhängig wurde, Oppositionsführer im Parlament. Doch schon zwei Jahre später, 1962, wurde er zum Verschwörer erklärt und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt - das durchsichtige Manöver warf die Yoruba, rund ein Fünftel der nigerianischen Bevölkerung, zunächst aus dem politischen Rennen. Aber nach dem Staatsstreich von General Gowon 1966 wurde Awolowo rehabilitiert, Finanzminister und blieb in dieser Funktion, bis er 1971 von der Politik Abschied nahm, um erneut als Anwalt tätig zu werden. Ein nur vorübergehender Abschied, denn als die nigerianischen Militärs die Rückkehr zur Demokratie verkündeten, gründete Awolowo seine „Unity Party of Nigeria“. Genau an der Frage der nationalen Einheit aber scheiterte ein ums andere Mal seine Präsidentschaft. Sowohl 1979 als auch 1983 unterlag er Shehu Shagari, dem Repräsentanten des politisch dominanten Nordens: Sein Leben lang blieb Awolowo der „Chief“ der Yorubas, in dem sich weder die Haussa des Nordens noch die Ibo des Ostens wiedererkannten. Obafemi Awolowo ist ohne Zweifel der tribalistischste, der Stammesgesellschaft zugeneigteste Politiker in der unabhängigen Geschichte Nigerias. Vor einem Jahr, zu seinem 77. Geburtstag, schrieb ihm der gegenwärtige Staatschef General Babangida: „Seit 35 Jahren ist die wichtigste Frage der nigerianischen Politik: „Sind Sie für oder gegen Obafemi Awolowo?“ Die Frage ist inzwischen beantwortet: Zu Lebzeiten waren - fast - alle gegen ihn. Heute sind - ausnahmslos - alle für ihn. Ein geistreiches Wort behauptet, er sei „der beste Präsident, den Nigeria nie gehabt hat“. Weniger geistreiche Schmeichler haben ihn dieser Tage mit Napoleon, Churchill, Lenin und Mao verglichen oder schlicht als den „größten Afrikaner aller Zeiten“ unters Volk gebracht. „Papa Awo“ ist zur politischen Investition geworden. Während die großen Firmen Nigerias Werbeseiten aufkaufen, um Todesan zeigen für Awolowo zu veröffentlichen, hieven Möchte–gern–Politiker ihre Lobhudeleien in den redaktionellen Teil der hiesigen Zeitungen. Das Kalkül bleibt sich gleich: Wenn das gegenwärtige Militärregime des General Babangida sein Versprechen hält und 1990 tatsächlich die politische Macht an die Zivilisten „abtritt“, dann wird die Erinnerung an „Papa Awo“ zum Stimmenfang im Yorubaland. Und so wimmelt es bereits heute an „spirituellen Erben“ eines Mannes, der einst von Nigeria gesagt hat: „Der Westen ist vom Osten so verschieden wie Irland von Deutschland, und was den Norden betrifft, der ist uns so fremd wie China.“ Hinter der Fassade des modernen Nigerias walten die Kräfte des alten. Amt und Würden werden nach alten Regeln verteilt: Der Norden regiert, der Rest exekutiert, auch wenn mit Präsident Babangida die Yoruba und vor allem die Minderheitsstämme des „middle belt“, des Zentrums, an politischem Gewicht gewonnen haben. Aber nur zwei Ibos finden sich in der Regierung und nur ein einziger im wichtigsten Entscheidungsgremium, dem „Regierungsrat der Streitkräfte“. Beinahe Tag für Tag erklärt noch zwanzig Jahre nach dem Beginn des Biafra–Krieges der einstige Rebell der Ostprovinz, Emeka Ojukwu: „Man kann nicht behaupten, daß der Bürgerkrieg zu Ende ist, solange eine Politik kollektiver Bestrafung fortgeführt wird.“ Offenbar soll „Papa Awos“ ironisches Lächeln recht behalten: In Nigeria, mit rund hundert Millionen Menschen Afrikas volksreichstes Land, wurde dieser Tage keineswegs der Tribalismus zu Grabe getragen. Im Gegenteil: Wer Geld und Einfluß hat oder haben will, setzt mehr denn je auf Bindungen, in die man ungefragt hineingeboren wird.