Sandoz–Brand durch „Berlinerblau“?

■ Ermittlungsbehörde nennt glimmenden Farbstoff „Berlinerblau“ als „wahrscheinlichste“ Brandursache / Ermittlungen gegen Sandoz–Verantwortliche wegen „fahrlässiger Verursachung einer Feuersbrunst“

Aus Basel Thomas Scheuer

Glimmende Partikel des Farbstoffes „Berlinerblau“ haben mit größter Wahrscheinlichkeit zu der Brandkatastrophe vom 1. November letzten Jahres in einem Chemielager des Basler Chemie–Multis Sandoz geführt. Mit dem abfließenden Löschwasser in den Rhein geschwemmte Agrochemikalien hatten dem Fluß enorme ökologische Schäden zugefügt. In einem Gutachten kommt der Wissenschaftliche Dienst (WD) der Stadtpolizei Zürich nach siebenmonatiger Arbeit zu dem Schluß, daß Farbstoffteil chen, die beim Einschweißen in Plastikfolien erhitzt worden waren und stundenlang unbemerkt weiterglommen, als „die wahrscheinlichste Ursache“ des Großbrandes anzusehen seien. Andere Brandursachen wie Brandstiftung, Selbstentzündung chemischer Substanzen, elektrische Kurzschlüsse, fahrlässiger Umgang mit Feuer oder gar der Einschlag von Blitzen oder Meteoriten könnten nach den ausführlichen Untersuchungen als weitgehend ausgeschlossen gelten. Dieses Fazit zog WD–Chef Dr. Max Hubmann am Freitag auf ei ner Pressekonferenz des Bezirks– Statthalteramtes Arlesheim, der zuständigen Ermittlungsbehörde des Kantons Basel–Land. Diese wird nun gegen „die Verantwortlichen“ ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren sowohl wegen „fahrlässiger Verursachung einer Feuersbrunst“ als auch wegen Gewässerverschmutzung und Tierquälerei einleiten. Mit letzterem Tatbestand sind die unbeabsichtigten Tierversuche des Chemie–Konzerns im Rhein gemeint, denen auf der Höhe Basels fast der gesamte Fischbestand zum Opfer fiel. Die Ergebnisse dieser Ermittlungen werden dann der Staatsanwaltschaft vorgelegt, welche über die förmliche Eröffnung eines Strafverfahrens zu befinden hat. Welche Sorte „Verantwortlicher“ denn nun vorrangig ins Visier der Justiz geraten wird, ob etwa einfache Lagerarbeiter oder höhere Manager, blieb gestern trotz zähem Nachbohren seitens der Presse vorerst Geheimnis der Fahnder - ebenso wie die 71seitige Originalfassung des WD–Gutachtens. Fortsetzung auf Seite 2 Bei dem Farbstoff „Berlinerblau“ handelt es sich um ein anorganisches Pigment, nämlich um eine komplexe Verbindung von Calium und Eisen mit Cyanid–Molekülen. Es kann aus Eisensalz und Kaliumferrocyanid hergestellt werden. Der dunkelblaue Farbstoff wurde bei Sandoz in Papiersäcken auf Paletten gestapelt, welche dann in Plastikfolie eingeschweißt wurden. Bei diesem Vorgang, „Schrumpfen“ genannt, wird die Folie mit einer offenen Gasflamme aus einer Flammpistole erhitzt. Laut Empfehlung der schweizerischen Brandschutzbehörden hätten diese frisch eingeschweißten Paletten mindestens einen halben Tag lang brandgeschützt gelagert werden müssen. Bei Sandoz seien sie direkt in die Lagerhalle 956 gefahren worden, die bekanntlich nur über unzureichende Brandsicherungsinstallationen verfügte. Daß beim Erhitzen des leicht entzündbaren „Berlinerblaus“ mit „langsam fortschreitendem Glimmen“ zu rechnen ist, sei allgemein bekannt, erläuterte WD– Chef Dr. Max Hubmann den Journalisten. Neu sei allerdings die durch seine Untersuchungen gewonnene Erkenntnis, daß Kleinstpartikel über derart lange Zeiträume hinweg völlig rauch– und geruchslos, also unbemerkbar, weiterglimmen. Bei Hitzetests im Labor der Zürcher Stadtpolizei hätten solche Partikelchen - unter Hitzeentwicklung von immerhin um die 800 Grad - teilweise über neun Stunden hinweg ohne äußerlich erkennbare Anzeichen wie Rauch– oder Flammenbildung weitergeglommen. Hinweise darauf habe man in der zugänglichen Fachliteratur nicht gefunden.