Zahlungsaufschub für Boykotteure

■ Bundesverfassungsgericht verweist Volkszählungsklage an die Verwaltungsgerichte / Während des Verfahrens keine Buß– oder Zwangsgelder

Karlsruhe (taz) - Weil der „Vorprüfungsausschuß“ des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde eines Bürgers aus Nordenham gegen die Volkszählung nicht zur Entscheidung angenommen hat, können Boykotteure nun hoffen, in der Zeit bis zur Schließung der Erhebungsstellen nicht mit Zwangs– und Bußgeldern belegt zu werden. Die Verfassungsrichter Herzog, Niemeyer und Heußner begründen ihre Ablehnung damit, daß der Beschwerdeführer mit seinen Bedenken gegen die Volkszählung zunächst den normalen Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten hätte beschreiten müssen. Für die Dauer eines solchen vorläufigen Rechtsschutzverfahrens liege es „von Verfassung wegen“ nahe, „von Maßnahmen des Verwaltungszwangs oder der Verfolgung einer etwa gegebenen Ordnungswidrigkeit abzusehen“, wenn die Auskunft „mit Rücksicht auf ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren nicht (rechtzeitig) erteilt wird“. Die Verwaltungsbehör den hätten nämlich bei ihren „Ermessensentscheidungen über die Androhung und Festsetzung von Zwangsmitteln oder die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten“ zu berücksichtigen, daß der vom Grundgesetz verlangte „umfassende und wirksame gerichtliche Rechtsschutz illusorisch wäre, wenn sie irreparable Maßnahmen durchführten, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft haben“. Für den Fall, daß Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte doch Zwangsmaßnahmen ergriffen und dem Beschwerdeführer dadurch „drohende schwere und unabwendbare Nachteile“ entstünden, deuteten die Verfassungsrichter an, hielte sie die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts für gerechtfertigt. In diesem Urteil (AZ: 1 BvR 620/87) sieht Wolfgang Raab vom Bonner Vobo–Koordinierungsbüro eine Einladung an die Volkszählungsgegner, den gerichtlichen Instanzenweg zu benutzen. Die letzte Instanz wäre hierbei allerdings doch wieder das Verfassungsgericht, das die jetzt entschiedene Beschwerde ja nur mit der Begründung abgewiesen hat, daß zunächst die Verwaltungs– und Oberverwaltungsgerichte anzurufen seien. Fortsetzung auf Seite 2 Tagesthema auf Seite 3 Kommentar auf Seite 4 Daß das Bundesverfassungsgericht nicht von vornherein ausschließt, sich mit den Einwänden gegen die Volkszählung 87 inhaltlich zu befassen, lesen Rechtsexperten aus der Formulierung, die Behörden sollten vor letztinstanzlichen Entscheidungen keine „irreparablen Maßnahmen“ treffen. Die Rechtsanwältin Maja Stadler–Euler, erfolgreiche Klägerin gegen die Volkszählung 83, erkennt in dem Urteil auch eine Aufforderung an die Gerichte, die Verfahren zu beschleunigen, in denen es um die grundsätzlichen Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Volkszählung geht. Nach einheitlicher Intepretation der von der taz befragten Rechtsexperten ist das Verfassungsgerichtsurteil nicht so zu verstehen, daß den Verwaltungsgerichten - entgegen der Intention des Volkszählungsgesetzes - damit empfohlen werden soll, die aufschiebende Wirkung des Einspruchs gegen die Volkszählung doch wiederherzustellen. Der Vollzug von Bußgeld– oder Zwangsgeldbescheiden wird nur indirekt dadurch außer Kraft gesetzt, daß ein eventueller Rechts streit über das erstinstanzliche Urteil selbst abgewartet werden soll. Für die Volkszählungsgegner heißt das konkret, daß sie nur dann (vorerst) vor der Vollstreckung eines Bußgeldbescheides sicher sind, wenn sie den Weg durch die Instanzen nehmen. Jedoch ist eine sofortige Vollstreckung von Bußgeldbescheiden auch bisher nicht Praxis, obwohl sie im Volkszählungsgesetz ausdrücklich möäglich gemacht wurde. Die Brisanz des Urteils scheint vor allem in dem Ratschlag an die Volkszählungsgegner zu liegen, den Rechtsweg voll auszuschöpfen, wobei die Verwaltungs–, Oberverwaltungs– und letztlich das Verfassungsgericht mit Zigtausenden von Prozessen überzogen werden könnten. Imma Harms/Rrolf Gramm