US–Chemiegewerkschaft rückt BASF auf den Pelz

■ 370 Angestellte im BASF–Zweigwerk Geismar (Louisiana) sind seit fast drei Jahren ausgesperrt / Ihre Gewerkschaft OCAW erprobt eine Strategie der Eskalation / Blockade der US–Firmenzentrale / Bündnisse mit Kirchen und Umweltgruppen

Aus New Jersey Stefan Schaaf

Tony Mazzocchi ist ein stimmgewaltiger Redner. Doch als er, ein Veteran im Organisieren von Arbeitskämpfen, zum dritten Mal ins Megaphon rief: „BASF Geismar kann leicht zu einem weiteren Bhopal werden!“, wollte plötzlich niemand der um ihn Versammelten mehr auf seine Worte achten. Unerwartet hatten einige Teilnehmer der Kundgebung vor dem US– Hauptsitz des Ludwigshafener Chemieriesen die Zufahrtsstraße blockiert und so den bislang friedlichen Charakter der Protestversammlung gesprengt. Fast eine halbe Stunde ließ die Polizei die Blockierer sitzen, bevor sie abgeräumt und in einem Bus abtransportiert wurden. An Überraschungen hat es die US–Gewerkschaft der Öl–, Chemie– und Atomarbeiter (OCAW), die hinter dieser Kundgebung stand, nicht fehlen lassen, seit ihre Ortsgruppe „4–620“ vor fast drei Jahren aus dem BASF–Zweigwerk Geismar im Süden Louisianas ausgesperrt wurde. Der westdeutsche Chemieriese setzte 370 Gewerkschaftsmitglieder vor die Tür, weil diese die Bedingungen für einen neuen Arbeitsvertrag nicht akzeptieren wollte, in dem sich der Konzern unter anderem das Recht vorbehielt, jeden Angestellten vor die Tür zu setzen, der sich dem Betrieb gegenüber „feindselig“ verhält. Überraschend dürfte für BASF vor allem gewesen sein, daß die Gewerkschaftler aus Geismar nicht nach ein paar Wochen der Aussperrung aufgegeben haben und resigniert auf die Suche nach neuen Jobs gegangen sind. Die Gewerkschaft war ebenso hartnäckig wie erfindungsreich. „Wenn man sich auf einen Arbeitskampf einläßt, muß man die Gewißheit haben, daß man die Auseinandersetzung eskalieren kann“, meint Richard Miller, gewerkschaftlicher Organisator der OCAW. Als jüngsten Schritt dieser Strategie blockierten 300–400 Gewerkschafter zwei Stunden lang die Auffahrt der BASF–Zentrale in Parsippany/ New Jersey. Mehr als die Hälfte des Personals wurde bereits um zwei Uhr nachmittags nach Hause geschickt, an der Zufahrt wurden die beiden großen Firmenschilder abmontiert. Die kurzfristige Blockade des Firmensitzes sollte den BASF–Managern die Situation der Arbeiter aus Geismar verdeutlichen: „Locked out, locked in, now you know the shape were in“, riefen sie. Wenig später wurde bekanntgegeben, daß auch auf dem Firmenparkplatz eine symbolische Einsperrrung stattgefunden hatte. Ein schweres Vorhängeschloß war von Unbe kannten am Parkplatzgitter angebracht worden. Es ist anzunehmen, daß trotz des Versteckspiels des BASF–Konzerns fast alle, die an dem Protest teilnehmen wollten, an diesen Ort mitten in einem weitausgedehnten Industriepark gefunden haben. Gut zwei Dutzend der ausgesperrten OCAW– Mitglieder sind aus Louisiana heraufgekommen, die Teamsters, die selbst zur Zeit gegen zwei Aussperrungen in nahegelegenen Bierfirmen kämpfen, waren da, außerdem die Gewerkschaften der Kommunikationsarbeiter, der Stahlarbeiter und der Regierungsangestellten und noch einige mehr. Was jedoch vor allem wich tig ist - und auch das gehört zur Strategie der Eskalation - war die Beteiligung mehrerer Umweltschutzorganisationen an dem Protest: Greenpeace, die „New Jersey–Koalition gegen Giftstoffe“ und der „Sierra Club“ haben sich der Gewerkschaft angeschlossen. „So wie sie knallhart mit der Umwelt umgegangen sind, waren sie auch knallhart gegenüber den Menschen“, formuliert es der Redner des „Sierra Clubs“, und er meint damit BASF und die Praktiken des Unternehmens in seinen amerikanischen Zweigniederlassungen. Eines der Hauptargumente der OCAW gegen die Aussperrung ist die Gefahr eines Unglücks, seit unzureichend ausgebildete Leiharbeiter die Anlage in Geismar betreiben. Betriebsunterlagen, die die Gewerkschaft erhalten hat, beweisen, daß die Zahl der Arbeitsunfälle auf das Vierfache angestiegen ist, seit die Aussperrung begann. Gerichte haben bereits mehrmals harte Strafen gegen BASF verhängt - unter anderem soll der Konzern 4,36 Millionen Dollar wegen Verletzungen des Giftstoff–Kontrollgesetzes zahlen. In diesem und einem anderen Rechtsstreit hat die OCAW, die häufig Informationen aus dem Konzern zugespielt bekommt, den Klägern Hilfestellung geleistet. Zur Zeit versucht die Gewerkschaft etwa, dem Ort Geismar zu helfen, zu einer selbständigen Gemeinde zu werden und so Steuern von BASF verlangen zu können. Derzeit profitiert der Konzern von den industriefreundlichen Steuergesetzen Louisianas. Geismar, eine schwarze und sehr arme Gemeinde, hat großes Interesse an mehr Geldmitteln, um Schulen zu bauen und Straßen zu reparieren. Vor allem hat der Konzern es versäumt, für Geismar Arbeitsplätze und damit für sich Loyalitäten zu schaffen. Außerdem bemüht die OCAW sich um Kontakte mit dem Ausland, vor allem mit der Bundesrepublik. Die Grünen haben dabei sehr viel mehr Unterstützung geboten als die IG Chemie und der DGB. „Der DGB hat uns im Wortsinn die Tür ins Gesicht geschlagen, und zwar nicht einmal, sondern fünf– oder sechsmal“, sagt Richard Miller. Entmutigt ist er dennoch nicht: Sein Kollege „Dick“ Leonard wird in drei Wochen, am 25. Juni, bei der Aktionärsversammlung von BASF in Ludwigshafen einen weiteren Versuch unternehmen, dem zweitgrößten Chemiekonzern der Welt, wo immer sich die Gelegenheit bietet, das Leben schwer zu machen. Daß die OCAW in diesem Konflikt am Ende die Oberhand behalten wird und so die negative Bilanz der US–Gewerkschaften in der Reagan–Ära etwas aufbessern wird, ist eigentlich keine Frage für die Chemiearbeiter von BASF Geismar. Optimismus gehört eben auch zur Strategie der Eskalation.