Pfingstscherben in Freiburg

■ Schwerste Randale in der Stadt seit 1981 / Polizei völlig überrascht / Verletzte und brennende Autos

Aus Freiburg Thomas Scheuer

Vor einem Scherbenhaufen stand am Pfingstwochenende unversehens eine völlig überraschte und ratlose Freiburger Stadtverwaltung: Ein verletzter Feuerwehrmann, 16 verletzte Polizisten sowie Sachschäden in Höhe von mehreren Hunderttausend Mark - so lautete die vorläufige Bilanz der Behörden nach der schwersten Randale seit den Häuserkämpfen in den Jahren 1980/81. Etwa 100 bis 150 Personen hatten in der Nacht auf den Pfingstsonntag in Freiburgs einzigem förmlichen Sanierungsgebiet, dem Stadtteil „Im Grün“, Material von den zahlreichen Baustellen auf die Straße geschleppt und angezündet, Scheiben zertrümmert und Fahrzeuge demoliert. Mehrere Bauwagen sowie über 20 Autos, darunter Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr und der Polizei, wurden in Brand gesteckt oder beschädigt. Fortsetzung auf Seite 2 Allein die Autoverleihfirma INTERENT muß 13 Autos abschreiben; teilweise lagen am Sonntag morgen nur noch verkohlte Gerippe auf dem Firmenparkplatz. Während den Auseinandersetzungen, in denen sich die Polizei offensichtlich völlig unvorbereitet und unterbesetzt wiederfand, sind Aktivisten festgenommen worden. Großes Rätselraten über einen konkreten Anlaß oder Auslöser der Straßenkämpfe herrschte anderntags sowohl in eiligst zusammengetrommelten Behördensitzungen als auch im öffentlichen Stadtgespräch. Rund 150 Personen hatten noch am Samstag mit tag ohne besondere Zwischenfälle in der Freiburger Innenstadt gegen die städtiche Wohnungspolitik demonstriert. „Die haben wohl ihren Frust darüber ausgetobt, daß sie nicht mehr Leute auf die Beine bringen“, kommentierte ein Besucher der „Grether–Fabrik“ die nächtliche Randale. (Die polizeilichen Räumungen des „Dreisamecks“ im Juni 1980 und später des „Schwarzwaldhofes“ im März 1981 hatten seinerzeit Zehntausende auf die Straßen gebracht.) In der „Grether“, einer zum alternativen Kommunikationszentrum umgebauten Fabrik, die im Zentrum des Sanierungsgebietes liegt, stiegen Samstag nacht zur gleichen Zeit die Festivitäten anläßlich des Zehnjahresjubiläums von „Radio Dreyeckland“. Bewohner eines in der Nähe liegenden besetzten Hauses versuchten zeitweise, mit der Meldung von einer angeblich drohenden Räumung ihres Hauses die Festbesucher auf die Straße zu bringen. Bei der anschließenden Randale blieben die Streetfigther beider Seiten jedoch weitgehend unter sich; einige Teilnehmer der Dreyeckland–Fete berichteten, sie hätten erst auf dem Heimweg durch die verwüsteten Straßen etwas von den Auseinandersetzungen mitbekommen. Die Polizeiführung klagte am Sonntag mittag auf einer Pressekonferenz, ihre Beamten seien noch nie zuvor in Freiburg dermaßen massiv angegriffen worden. Zeitweise habe sie den Feuerwehrleuten nicht mehr den Zugang zu Brandstellen ermöglichen können. Baden–Württembergs Innenminister Dietmar Schlee nutzte die Freiburger Krawall nacht sogleich, um die leidige Debatte über die Nahkampfausrüstung der Polizei wiederaufzuwärmen. In Freiburg selbst darf damit gerechnet werden, daß CDU und Regierungspräsidium nun einen Aufguß ihrer letztjährigen Kampagne „Chaotenhochburg Freiburg“ auftischen werden, mit der sie SPD–Oberbürgermeister Rolf Böhme wegen seiner vermeintlichen Szene–freundlichen Politik attackierten. Böhme selbst betonte in einer ersten Stellungnahme, die Stadtverwaltung werde weiterhin sorgfältig differenzieren zwischen der Alternativszene und dem harten Kern der Randalierer.