Prüfstein für Spaniens Sozialisten

■ Kommunal–, Regional– und Europawahlen in Spanien / Nach Wahlprognosen wird die PSOE ihre Vormachtstellung in den großen Städten und einigen autonomen Regionen einbüßen / Quittung für politischen Kurs der Sozialdemokraten / Zuwachs für Nationalliberale erwartet

Aus Madrid Jasmin Tun

Die Spanier dürfen heute gleich dreimal zum Stimmzettel greifen. Neben Kommunal– und Regionalwahlen in ganz Spanien werden gleichzeitig die Vertreter für das Europäische Parlament in Straßburg gewählt. 38 politische Gruppierungen konkurrieren bei den ersten Wahlen zum Europaparlament um Sitze in Straßburg. Eine klare Chance, Repäsentanten nach Straßburg zu schicken, hat die Partido Socialista Obrero Espanol (PSOE), das Centro Demokratico y Social (CDS), die Coalicion Izquierda Unida (IU) und die rechte Alianza Popular (AP), deren Ex–Vorsitzender und Alt– Frankist Fraga für Straßburg kandidiert. Chancen werden auch der Partido de los Trabajadores de Espana - Unidad Comunista (PTE–UC) und der radikalen Herri Batasuna (HB) eingeräumt. Für die Kommunal– und Regionalwahlen prognostizieren Meinungsumfragen Stimmenverluste sowohl für die regierende PSOE als auch für die zweitstärkte Partei, die rechte AP. Demgegenüber wird ein Stimmenzuwachs des nationalliberalen Spektrums und der linken Parteien erwartet, das heißt Gewinne für die CDS und die IU, einen Zusammenschluß von Kommunisten und linken Sozialisten. Adolfo Suarez, der immer populärer werdende CDS–Vorsitzende, stellt die größte Bedrohung für die absolute Vorherrschaft der PSOE dar. Zwar ist nicht mit spektakulären Stimmenverlusten der Sozialisten zu rechnen, wahrscheinlich ist jedoch, daß sie die absolute Mehrheit in einigen Städten (Madrid, Sevilla, Valencia, Zaragoza) oder einigen autonomen Regionen (Madrid, Asturias, Aragon, La Rioja) verlieren werden. Um an der Macht zu bleiben, wird die PSOE gezwungen sein, Koalitionen mit der CDS und in einigen Regionen mit der im Wahlkampf sehr aktive IU einzugehen. In einigen Fällen, wie zum Beispiel im Rathaus von Madrid, wird selbst eine Koalition der CDS mit der rechten AP nicht ausgeschlossen - eine Horrorvorstellung für die aufblühende Kulturmetropole Madrid, wo der sozialistische Ex–Bürgermeister Tierno Galvan immerhin eine fortschrittliche Kultur, Jugend– und sozialpolitische Linie verfolgt. Die Wahlen werden die Vormachtstellung der spanischen Sozialisten nicht grundsätzlich in Frage stellen, aber sie werden den Vertrauensschwund in ihre Politik dokumentieren. Würden die Sozialisten tatsächlich dazu gezwungen, Koalitionen einzugehen, könnte das politische Leben in Spanien an Dynamik, Vielfalt und Konfliktpotential gewinnen. Die unbedeutende und zersplitterte Opposition hätte die Chance, Einfluß und Macht in den Parlamenten zu erringen und dort neue Perspektiven und Alternativen für die nächsten Parlamentswahlen zu erarbeiten. Der seichte sozialdemokratische Kurs der Sozialisten, ihre Wende beim NATO–Referendum, ihre Anti–Terrorismuspolitik, die blühenden spanischen Waffengeschäfte, die Ereignisse von Reinosa, wo die Guardia Civil blind auf demonstrierende Arbeiter losging, die zögerliche Haltung zur Legalisierung der Abtreibung - das sind nur einige aktuelle Beispiele für die Politik der PSOE. Die Wähler haben das Vertrauen verloren. Die Sozialisten sind aus gutem Grund nervös.