„Was wäre Coburg ohne seinen Convent?“

■ 5.000 beim Treffen der schlagenden Verbindungen - Deutschlandlied in allen drei Strophen - Trinkrituale und deutsches Liedgut - Störungen bei der Mahnstunde für die Wiedervereinigung / Burschenschaftler amüsiert über „linkes Gesockse“

Aus Coburg Bernd Siegler

Pfingstmontag, 23.49 Uhr. Auf dem Coburger Marktplatz verlöscht die Straßenbeleuchtung. Das 119.Treffen der Landsmannschaften und Turnerschaften des Coburger Convent (CC) geht seinem Höhepunkt entgegen. Fackeln erhellen die gespenstische Szenerie. Fanfaren und Trommeln wirbeln: In Reih und Glied stehen die uniformierten Mitglieder der Schlagenden Verbindungen und ihre „Alten Herren“ auf dem Rathausplatz, flankiert von Spielmannszügen. Der Redner vom Rathausbalkon erinnert an die „widernatürliche Teilung Deutschlands“ und spricht von der „Unrechtsgrenze“. Dann, kurz nach Mitternacht, ist es soweit. „Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt, Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt“ singen die Korporierten, unterstützt von Tausenden von Coburgern, gestört vom Pfeifkonzert der Gegendemonstranten. Nach Beendigung der Mahnstunde löscht die Feuerwehr die herumliegenden brennenden Fackeln. Seit Freitag steht die 45.000 Einwohner zählende Stadt Coburg in Oberfranken nahe der DDR–Grenze für vier Tage ganz im Zeichen „ihres Convents“. Trotz der Störaktionen vom letzten Jahr und den 100.000 Mark Sachschaden, den die CC–Gegner hauptsächlich an den Nobelkarossen der „Alten Herren“ angerichtet hatten, gibt es diesmal einen Rekordbesuch. Etwa 5.000 Korporierte haben sich eingefunden. In seiner Begrüßungsrede ruft Oberbürgermeister Höhn die Coburger Bürger auf, sich „von den Wirrköpfen nicht verunsichern zu lassen“, die gegen den CC „alle Berufsdemonstranten aus Deutschland nach Coburg zusammengekarrt“ hätten. Es werde den Störern nicht gelingen, den Kongreß zu verhindern, kündigt der OB an. Doch manche CC–Vorstände erklären bereits mit drohendem Unterton, der CC lasse sich auch in einer anderen Stadt durchführen. „Doch was wäre Coburg ohne seinen Convent?“ fragt sich selbst die Coburger Neue Presse. Und der Kongreßbeauftragte Hans Schollmeyer hat gleich die Antwort parat: „Dann können Sie das Schild Kongreßstadt abmontieren.“ 60 Prozent der CC–Teilnehmer seien Freiberufler (Rechtsanwälte, Ärzte) oder Arbeitgeber: „Welcher Verband würde dann noch in Coburg einen Kongreß halten?“ Um diese bedrohliche Entwicklung abzuwenden, wurden zwei zusätzliche Hundertschaften Polizei nach Coburg beordert. Aber neben der von VDS, Grünen, VVN und antifaschistischen Gruppen initiierten Demonstration gegen „Nationalismus, Revanchismus und Kriegsvorbereitung“ und der Störung der Mahnstunde passiert nicht viel. CC– Teilnehmer amüsieren sich nur über das „linke Gesockse“, Coburger Bürger kommt der „Geht– doch–rüber“–Ratschlag locker über die Lippen. Am Abend des Pfingstmontag dann der Höhepunkt des geselligen Conventlebens, der Festkommers: Etwa 3.500 Korporierte drängen sich im Festzelt. Sie schwenken ihre Mützen und stemmen die Maßkrüge, unterbrochen von Redebeiträgen und deutschem Liedgut. Nach einem knappen „Silentium“ vom Rednerpult kehrt im Zelt sofort Ruhe ein. Jetzt kann Festredner Ministerialdirigent Dr. Ottobert Brintzinger von der Teutonia Heidelberg mit seiner Interpretation des diesjährigen Convent–Mottos „Ich wags“ beginnen. Er wendet sich gegen die Massenuniversität und die Verschulung des akademischen Studiums und erinnert an die Erziehungsaufgabe des CC. „Unsere Traditionen müssen als Sprungbrett in die Zukunft dienen, unsere Grundsätze Ehre, Freiheit, Freundschaft und Vaterland verpflichten uns auf Ideale.“ Ein militärisch knappes „Silentium ex colloquium“ ist für die „Verbandsbrüder“ das Signal, ihre lautstarken Trink– und Begrüßungsrituale fortzusetzen, bis für das Gedenken an die deutschen Hochschulen im Osten ein erneutes „Silentium“ ertönt. Zwischen der Ansprache des OB (“Es war wie immer schön, Prost meine Herren“) und den Grußbotschaften wird gesungen. Anschließend formieren sich die Korporierten, die in ihrem Verbindungsleben zwischen zwei und sechs Pflichtmensuren auf dem „Paukboden“ überstehen müssen, zum Fackelzug. In Coburg selbst dürfen jedoch keine Fechtabende ausgemacht werden, denn in der Stadt herrscht satzungsgemäß „Burgfrieden“. Die Mensur ist Teil des Erziehungsauftrags des CC, dessen politische Ausrichtung Walter Wessa, Vorsitzender der „Alten Herren“, als „ein bißchen konservativ“ bezeichnet. Thomas Knapp, stellvertretender CC– Sprecher, fügt hinzu, daß Tradition als Wert nicht dadurch schlecht werde, daß sie einmal mißbraucht worden wäre. Deswegen auch alle drei Strophen des Deutschlandliedes. „Das ist lediglich ein emotionelles kulturelles Bekenntnis zur Nation.“