Bleiben die Briten auf dem „rechten Weg“?

■ Bei den morgigen Wahlen hat Labour nur eine knappe Chance gegen Maggie Thatcher / Von Rolf Paasch

Einen Tag vor der Wahl in Großbritannien sind sich die professionellen Vorhersager über den Ausgang nicht mehr so sicher. Während in globalen Umfragen die Konservativen vorne liegen, werden Labour in den kritischen Wahlkreisen gute Chancen eingeräumt. Dennoch ist eine Hängepartie im neuen Parlament unwahrscheinlich. Zu den Wahlen siehe auch „Die historische Mission der Eisernen Lady“ Seite 9 und die Schattenseiten der konservativen Ökonomiekonzepte Wirtschaftsseite 8.

Richmond Hill, eine Flußszene an der Themse, wie sie vom britischen Nationalhelden William Turner unzählige Male mit Öl auf die Leinwand gebannt worden ist, wird an diesem Nachmittag von einer bunten Mischung aus Wahlkämpfern und Wahlvolk verschandelt. Die Überzeugten unter ihnen haben große gelbe Schirme mit dem Schriftzug der „Alliance“ aufgespannt, die Unentschlossenen - die hier stellvertretend für zehn Prozent der britischen Wählerschaft stehen - starren neugierig auf den Fluß und warten auf die Helden, die da kommen sollen: Tweedledum und Tweedledee, zwei Figuren aus der gleichnamigen TV–Kinderserie, die frappierende Ähnlichkeit mit den beiden Führern der sozial–liberalen Allianz David Owen und David Steel aufweisen. Endlich taucht am Horizont eine müde Barkasse auf, die sich dem Pier nähert. David Steel, der unprätentiöse Führer der Liberalen, dieser in Großbritannien zur Partei verkommenen Philosophie, sitzt am Ruder. Und David Owen, der machthungrige Führer der von ihm 1981 mit aus der Taufe gehobenen Sozialdemokratischen Partei (SDP), hält am Bug nach den Kameras und nach möglichen Wählern Ausschau. Um die Ergebnisse der letzten Meinungsumfragen zu illustrieren, müßten die Allianz–Führer eigentlich hier baden gehen. Ganze 20 Prozent der Briten wollen der Partei der Mäßigung zwischen den „linksextremen“ Allüren der Labour Party und der doch allzu herzlosen Sozialpolitik der Tories ihre Stimme geben. Doch hier im Wahlkreis von Richmond & Barnes, in der nach Geld stinkenden Idylle der Londoner Vorstadt, werden die Führer der Allianz enthusiastisch begrüßt. So enthusia stisch, wie dies halt die moderate Mitte der Mittelklasse vermag: mit vorsichtigem Händeklatschen. Dann geht es ans Händeschütteln mit Allianz–Promis vom Schlage des „Gandhi“–Regisseurs Richard Attenborough. Vor allem die SDP ist eine Partei der Medienleute und Industriekapitäne mit einem schlechten sozialen Gewissen. Für diese Klientel hält die Allianz in ihrem Wahlprogramm die beruhigende Verdopplung der Entwicklungshilfe bereit. Sonst ist der politische Standort der Allianz des Klassenausgleichs nur schwer zu bestimmen. Meist will sie ein Mittelding aus Labour und Tory–Politik, manchmal auch beides. „Wir sind die einzige Partei“, so schmettert David Steel mittlerweile vom Rednerpult, „die eine Senkung der Arbeitslosigkeit und gleichzeitig eine sichere Landesverteidigung gewährleistet.“ Die Reden sind so farblos wie das Programm dieser Allianz, die in Richmond & Barnes nur 74 Stimmen hinzugewinnen muß, um den Konservativen ihre einstige Hochburg zu entreißen. Das Problem für die Allianz ist, daß es in Thatchers gespaltener Nation zu wenige Wahlkreise gibt, wo die Fenster der Häuser so mit den gelben Vierecken der Allianz vollgeklebt sind wie hier in Richmond. Im Gegensatz zu den beiden großen Parteien, die von ihren Hochburgen leben, ist die Mitte halt überall gleich dünn. Aus dieser Verzweiflung heraus, mit über 20 Prozent der Wählerstimmen nur weniger als fünf Prozent der Parlamentssitze erreichen zu können, ist die Allianz sogar radikal geworden: Sie fordert in ihrem Parteiprogramm die Einführung eines Verhältniswahlrechts, was die beiden alteingesessenen Parteien vereint zu verhindern suchen. Während die Journaille die Reden der beiden Führer noch verzweifelt nach einer zündenden Titelzeile durchsucht, treten die beiden Davids - nach zehn Tagen getrennten Wahlkampfes wieder glücklich vereint - vom Podium ab. Der Versuch, ihrem Doppelten–Lottchen–Image zu entkommen, war nämlich vor ein paar Tagen böse daneben gegangen, als die beiden für den Fall eines „hängenden Parlaments“ (ohne Mehrheit für Labour oder Konservative) unterschiedliche Heiratswünsche geäußert hatten. Denn während es sich Owen nicht mit Labour vorstellen konnte, wollte Kollege Steel nach eigenen Angaben nicht im Bett der Eisernen Lady enden. Dabei besteht ihre einzige Hoffnung, politischen Einfluß zu gewinnen, darin, daß eine der beiden großen Parteien die Allianz als Mehrheitsbeschafferin brauchen könnte. Als die beiden Davids schließlich nach ihrer lauwarmen Vorstellung am Flußufer den „Battlebus“ besteigen wollen, der sie in weitere Marginals (stark umkämpfte Wahlkreise) chauffieren sollte, muß die Alliance–Mannschaft festellen, daß ein vom Wahlkampf völlig unbeeindruckter Bobby das falsch geparkte Luxusgefährt kurzerhand auf die Polizeiwache gefahren hat. So endet dieser trübe Wahlkampftag mit einer ähnlichen Pleite, wie sie die Wähler für die Allianz am Donnerstag bereithalten werden. Sollten - wie erwartet - die Konservativen gewinnen, dann bestünde die Wirkung der Alliance darin, die Anti–Thatcher–Stimmen aufzuspalten und damit die soziale Polarisierung des Landes fortzuschreiben, die zu bekämpfen sie ursprünglich ausgezogen war.