I N T E R V I E W „Ein bißchen wie Freiwild“

■ SFB–Korrespondent Hartwig Heber zu den „härtesten Attacken seit 1974“ auf West–Journalisten

taz: Wie verlief der Einsatz der Vopos? Hartwig Heber: Bis auf wenige Ausnahmen waren es zivile Greiftrupps der Staatssicherheit, die gegen uns tätig wurden. Sie sind gezielt vorgegangen. Gegen 23.15 Uhr sprang mich einer von hinten an und griff nach Mikrofon und Aufnahmegerät. Es gab ein richtiges Handgemenge, dann machte er sich mit meinem Mikrofon davon. Was heißt gezielter Einsatz? Der ARD–Hörfunkkorrespondent Hauptmann wurde von drei Zivilisten zu Boden geworfen, dabei wurde ihm das Tonbandgerät weggenommen und er im Polizeigriff zu einem Wagen gebracht. Nach der Personalienüberprüfung wurde er entlassen. Das Stärkste, was ich gesehen habe, ist der Angriff auf das ARD–Fernsehteam. Ein Trupp von sechs bis acht zivilen Figuren mit Schlagstock rannte es regelrecht um. Es gab vorher eine Attacke von Greiftrupps gegen Demonstranten, die auseinanderstreuten, das Team stand plötzlich frei da. Und schon stürmten die Greifer auf die Kollegen los und rissen sie zu Boden, die Kamera wurde zerstört. Den Kameramann haben sie in einen Wagen geworfen, auf die Rückbank gelegt, ein Bewacher hat seinen Kopf zwischen die Knie geklemmt, um ihn bewegungsunfähig zu machen. Mantel und Hemd wurden geöffnet, die Hose bißchen runtergezogen und dann mit der flachen Hand auf die Nieren geschlagen. Auf dem Innenhof, zu dem er gebracht wurde, ist er aus dem Fahrzeug geworfen und von drei Uniformierten mit Knüppeln geschlagen worden. Schließlich mußte er sich an eine von einem Scheinwerfer bestrahlte weiße Wand stellen, ist wieder geschlagen und durchsucht worden. Als man seinen Ausweis fand, ist er nach einer halben Stunde freigelassen worden. Sollen so Journalisten eingeschüchtert werden? Es ging hauptsächlich um die O–Töne. Der Sprechchor „Die Mauer muß weg“ sollte nicht mehr verbreitet werden. Ich kann mir vorstellen, daß die Sicherheitskräfte alleine agiert haben, ohne Rückendeckung von oben. Das Ganze paßt ja nicht in die Landschaft, Honecker will nach Bonn, und das Eintrittsgeld, das er gestern bezahlte, ist Falschgeld. Was heißt das für Ihre künftige Arbeit? Wir sind erheblich verunsichert, fühlen uns so ein bißchen wie Freiwild. Wir erwarten eine umgehende Erklärung der DDR–Regierung, daß sie unsere ohnehin erschwerten Arbeitsbedingungen mit den wenigen Möglichkeiten wieder bestätigt. Interviews und Befragungen sind genehmigungspflichtig, die muß man anmelden. Straßenaufnahmen, Publikum, Stimmengewirr, kurz „Atmo“, sind hingegen nicht genehmigungspflichtig. Deshalb müssen wir auch das Mikrofon in die Höhe halten können, wenn Sprechchöre kommen. Die Einsätze sind ein klarer Verstoß gegen die deutsch–deutschen Vereinbarungen. Sie sind der gravierendste Vorgang seit 1974. Sind Sie von den Vorgängen überrascht? Ich war überrascht, daß die Zuständigen so dumm waren, die Auseinandersetzungen zu provozieren. Es wäre nichts passiert, wenn sie die Jugendlichen hätten hören lassen. Es waren am Sonntag noch Leute unterwegs, die ausschließlich Rock hören wollten. Gestern schien das Publikum etwas anders zusammengesetzt. Das Verbot und die Greiftruppen– Aktionen haben die Leute sauer gemacht. Das war so ein 67er–Effekt wie in West–Berlin, unter ganz anderen Bedingungen, gewiß. Aber es hat einen Politisierungsschub gegeben, der in dem Ruf, „Die Mauer muß weg“ eskalierte. Die „Internationale“ und „Kreuzberger Nächte“ wurden gesungen? Das eine habe ich nicht gehört. Die Internationale ist auch am Vorabend gesungen worden, vor allem die Zeile „...erkämpft das Menschenrecht“. Interview: Benedict M. Mülder