Reagans Doktrin für die „Dritte Welt“

■ Mit der Theorie des „Konflikts niedriger Intensität“ bemüht sich die US–Regierung, Revolutionen in der „Dritten Welt“ zu schwächen oder zu verhindern, ohne eigene Truppen einzusetzen / Von der Unterstützung antikommunistischer Guerilla über CIA–Geheimaktionen bis zum Medien– und Propagandakrieg

Von Fred Halliday

Die Reagan–Doktrin wurde formuliert, um mit Revolutionen in der „Dritten Welt“ umzugehen - um sie zu verhindern, sie zu schwächen und „auszubluten“, wenn sie bereits geschehen sind, oder sie, wenn möglich, niederzuschlagen. Geboren aus dem Bedürfnis, auf Revolutionen der siebziger Jahre zu antworten, ohne jedoch unmittelbar US– Truppen längerfristig zur Aufstandsbekämpfung einzusetzen, ist die Reagan–Doktrin faktisch eine Politik der Gegenrevolution zum Niedrigpreis. Innerhalb dieses strategischen Raumes hat die Doktrin fünf Komponenten: die erste ist eine neue Theorie des Krieges, genannt „low intensity conflict“ (Konflikt niedriger Intensität); die zweite ist die Förderung militärischer und anderer geheimer Operationen gegen revolutionäre Regimes der „Dritten Welt“; die dritte ist das Eingreifen in revolutionäre Situationen, um Erhebungen in andere Richtungen zu lenken und so viel wie möglich vom existierenden Regime zu retten; die vierte ist die Durchführung einer „Antiterroristen“–Kampagne; die fünfte ist die letzte Machtreserve direkter US– Intervention gegen Revolutionen. (Die beiden letzten Teile mußten leider einer notwendigen Kürzung zum Opfer fallen, die Red.) Low Intensity Conflict „Low Intensity Conflict“ (LIC) wurde zum führenden militärischen Element der Reagan–Doktrin. Zuerst 1981 in die Diskussion gebracht und jetzt in einigen offiziellen und halboffiziellen Dokumenten formuliert, ist LIC die Aktualisierung irregulärer militärischer Aktivitäten in der „Dritten Welt“. Einige seiner Befürworter sehen in ihm eine Antwort auf revolutionäre Guerillastrategien, eine Art von „amerikanischem Leninismus“. Dafür postuliert die Theorie des LIC die folgenden Bedingungen: - Die Kombination militärischer und nichtmilitärischer Kampfformen: Die USA müssen darauf vorbereitet sein, nicht nur an der militärischen Front zu kämpfen, sondern auch mit Hilfe politischer, wirtschaftlicher, kul tureller und gesellschaftlicher Instrumente. Die bekanntesten sind Programme der zivilen Aktion, psychologische Operationen und Propagandakampagnen breiten politischen Charakters. - Die Notwendigkeit, auf langwierige Verpflichtungen vorbereitet zu sein: Eine der schmerzhaftesten Lehren des Vietnam–Krieges war das Gefühl, daß die USA nicht die Standfestigkeit hatten, ihre Streitkräfte dort im Feld zu lassen. - Die Beschränkung von US– Verwicklungen im Kampfgeschehen auf ein Mindestmaß: LIC beinhaltet zwar direkte militärische US–Aktivitäten, aber dies geschieht vor allem durch die Unterstützung einheimischer Kräfte, sei es einer Regierung oder Opposition, oder durch kleine Einheiten für Spezialoperationen. - Die Mobilisierung von Unterstützung innerhalb der USA: Die politischen und psychologischen Komponenten von LIC enthalten nicht nur den Kampf vor Ort, sondern auch die Situation innerhalb der USA selbst. Eine weitere „Lehre“ aus Vietnam war, daß der Krieg ebenso in den USA wie in Vietnam selbst verloren wurde. Die Antwort ist klar: Es müssen große Anstrengungen unternommen werden, um innenpolitische Unterstützung zu mobilisieren und aufrechtzuerhalten - im Kongreß, in den Medien und in der Öffentlichkeit insgesamt. Die Privatisierung der Contra–Unterstützung durch die Aktivitäten politischer Aktionskomitees und rechtsgerichteter „pressure groups“ hat sowohl eine politische als auch eine finanzielle Bedeutung: Hauptziel ist nicht nur, die den Contras zufließenden Geldmittel zu erhöhen, sondern auch das politische Engagement und die Einmischung der rechtsgerichteten Aktivisten in Zentralamerika. Bis Ende 1986 war der Hauptverantwortliche für diese Mobilisierung Oberst Oliver North. Eine neue Doktrin der Geheimaktion Mit dem Amtsantritt Reagans erhielt die Unterstützung rechter Guerillaorganisationen erhöhte Bedeutung, die Ausgaben und die Anstrengungen, solche Konflikte zu schüren, nahmen zu. Rückendeckung für „Freiheitskämpfer“ wurde zum zentralen Bestandteil der LIC–Politik. Der CIA rückte sich unter der Leitung von William C. Casey in den Mittelpunkt dieser gegenrevolutionären Operationen. Es heißt, daß sie von einem Komitee geleitet wurden, das sich im Raum 208 des Old Executive Building gegenüber dem Weißen Haus traf. Zum Komitee 208 gehörten Vertreter des CIA, des Nationalen Sicherheitsrats, des Verteidigungs– und des Außenministeriums. Seine Entscheidungen wurden von der Planungsgruppe für nationale Sicherheit, zu der der Präsident und seine wichtigsten Berater in Sachen nationale Sicherheit gehörten, gebilligt. In der Zeit von 1981 bis 1986 unterstützte der CIA vier gegenrevolutionäre Guerillabewegungen in der Dritten Welt: in Kambodscha, Afghanistan, Angola und Nicaragua. Im Falle der ersten drei waren die USA bereits vor 1981 beteiligt, aber die Bandbreite und der Grad öffentlichen Engagements stieg mit Reagans Einzug ins Weiße Haus an. Finanziell gesehen fiel Afghanistan, das allein 1985 geschätzte 470 Millionen Dollar erhielt, am meisten ins Gewicht. Nur in diesem Land ging die US–Hilfe direkt an Kräfte, die töteten. Zwei der vier Guerillabewegungen hatten innere Wurzeln im Land - Afghanistan und Angola - und wurden von antikommunistischen Nachbarstaaten (Pakistan und Südafrika) unterstützt. Die kambodschanischen und nicaraguanischen Kräfte waren ein Überbleibsel des geschlagenen Regimes, führten eine Randexistenz an den Grenzen des Landes und hätten nicht überlebt oder - wie im Fall Nicaraguas - wären gar nicht erst aufgetaucht, hätte der CIA sie nicht unterstützt. Warum unterstützten die USA Kräfte, die keine Erfolgschancen hatten? Eine Anzahl verschiedener Gründe für LIC scheinen zusammenzuwirken und sich zu überlappen. Erstens sollten die Kosten, die der UdSSR und ihren Verbündeten auferlegt wurden, so hoch wie möglich sein, während die USA außerhalb des Konflikts blieben. Der Verlust an Menschenleben, die Zersplitterung finanzieller und administrativer Ressourcen, die aus LIC–Kriegen hervorgehenden politischen Belastungen, all dies kam einer auf antikommunistischem Kreuzzug be findlichen Regierung gelegen. Es trug dazu bei, die UdSSR und ihre Verbündeten zu binden und auszubluten. Zweitens gab es den Wunsch, an die öffentliche Meinung der USA zu appellieren. Reagans Rede von „Freiheitskämpfern“ und ihren Idealen waren Teil einer umfassenden Mobilisierung der öffentlichen Meinung der USA für seine Politik. Je weniger Ergebnisse er auf dem Boden vorweisen konnte, desto nötiger hatte er es, als jemand gesehen zu werden, der etwas tat. Drittens gab es den Wunsch nach Rache. Eine Elite von Politikmachern, die die Niederlage in Vietnam und die Welle von 1974 bis 1980 überstanden hatte, fand nun ihre Freude daran, ihre eigenen Guerillaorganisationen gegen Revolutionäre aufzubauen. Die Verfeinerung revolutionärer Krisen Ebenso wichtig wie die Verhinderung revolutionärer Siege war die parallele politische Strategie, Revolutionen abzuwürgen und umzulenken, bevor sie stattfinden. Die Niederlage im Iran rief in Washington eine breite politische Debatte hervor, wie die Machtübernahme Khomeinis hätte verhindert werden können. Die Meinungen gingen weit auseinander, aber eines hatten sie gemeinsam: die USA hätten das Regime durch die Absetzung des Schahs retten müssen. Das Problem im Iran war nicht, daß der Schah floh, sondern daß mit ihm das ganze Regime zusammenbrach. Es mußte nun gelernt werden, wie man die Situation so zurechtbog, daß der gehaßte Diktator gehen konnte, sein Regime aber blieb. Im Idealfall würden natürlich Elemente seines eigenen Regimes im letzten Moment die Seite wechseln, indem sie sich als Vorkämpfer eines alternativen Regimes darstellten, um so die staatliche Kontinuität zu garantieren und sich einen Teil der Glaubwürdigkeit der Opposition anzueignen. Eine ähnliche Lehre zogen rechtsgerichtete Analytiker aus Nicaragua: Carter hätte 1978 Somoza zum Abgang zwingen und so das Regime retten und die Revolution von 1979 blockieren sollen. Es gab vier Fälle für solche Übergänge: Sudan, El Salvador, Haiti und die Philippinen. In allen vier Fällen gab es einen beträchtlichen diplomatischen Anteil der USA. Die USA waren nicht die Hauptursache der Veränderung, auch wenn US–Regierungsbeamte manchmal behaupteten, das Ende dieser Tyranneien herbeigeführt zu haben. Aber die USA hatten einen gewissen Anteil daran, den Übergang zu einem für sie günstigeren Ausgang geführt zu haben. Im Falle des Sudan bewogen US–Beamte Nimeiri, nicht die Rückkehr in den Sudan zu versuchen, als die Krise während seines Besuches in Washington ausbrach, und sie brachten Ägypten dazu, ihm Asyl zu gewähren. Die neuen sudanesischen Herrscher wußten, daß sie die Rückendeckung der USA bei ihrer Aktion hatten. In El Salvador war es direkter Druck der USA, der DAubuisson von der Präsidentschaft abhielt und 1983 zur „Säuberung“ der salvadorianischen Armee und der Verringerung der Aktivitäten der Todesschwadrone führte. In Haiti hatten US–Beamte Duvalier lange bedrängt zu gehen, und es war ein US–Flugzeug, das den Diktator und seine Familie außer Landes brachte. In den Philippinen war es der vom CIA unterstützte Radiosender „Veritas“, der die Revolte der militärischen Führer Enrile und Ramos unterstützte, die Marcos zu Fall brachte; es waren US–Beamte, die Marcos außer Landes brachten und ihn daran hinderten, in seiner Hochburg in der Region Ilocos im nördlichen Luzon zurückzukehren. Die Neutralisierung des unerwünschten Kandidaten und die Unterstüzung der neuen Führung scheiterte im Iran, da die Khomeini–Opposition stark genug war, die USA daran zu hindern, ein Regime nach dem Schah unter Schahpur Bakthias einzurichten. Sie scheiterte ebenfalls in Nicaragua 1978/79, da keine „saubere“ Gruppe innerhalb der Nationalgarde aufgetischt werden konnte. Sudan, Haiti, El Salvador und die Philippinen waren erfolgreicher. Die bewirkten Veränderungen hatten die negative Folge, daß der Protest der Bevölkerung und eine breitere öffentliche Debatte freien Lauf erhielten. Die Rettung der Staatsmaschine war diesen Preis wert. Ein prowestliches Nachfolgeregime konnte nun Glaubwürdigkeit für sich beanspruchen und gewann Zeit, sich zu etablieren. Viele, die eine Rolle bei der Aushöhlung des alten Regimes gespielt hatten - Kommunisten und Guerilla im südlichen Sudan, die FMNL in El Salvador, die städtischen Protestler in Haiti, die NPA auf den Philippinen -, waren nun von der Macht ausgeschlossen. Fred Hallidays Text ist in englischer Originalfassung beim Transnational Institute in Amsterdam erschienen. Die Übersetzung haben wir (gekürzt) epd– Entwicklungspolitik, Materialien 11/87 entnommen.